Leitfaden

Ein Leitfaden – Die Tücken des Gebrauchstexts

Wer einen Leitfaden für neue Mitarbeiter schreiben will, ist
schnell einmal in gewissen Nöten, ja emotional betroffen.
Man möchte in einer kleinen Broschüre einige sinnvolle Tipps zusammenstellen,
wichtige Ansprechpartner nennen, ein paar wenige relevante Informationen und
Kontakte, mehr nicht. So fängt es meistens an. Es ist wie mit diesen Hochzeiten
„im ganz kleinen Kreis“, von denen man erst wieder hört wenn in den Seitenblicken einer der „500 geladenen
internationalen Gäste“ zu Wort kommt.

Wenn man, und das gilt besonders im einigermaßen komplexen
Bibliotheksbereich, nur „eine kleine Broschüre“ schreiben will, sollte man sich
immer darüber im Klaren sein, dass man soeben damit begonnen hat auf 500 Seiten
DIE WELT ZU ERKLÄREN.  
Ich hatte in den letzten Wochen die Freude an einem solchen Leitfaden
mitzuarbeiten, und habe einige Erfahrungen zu Papier gebracht.

 1. Das Format: A5
Tun Sie es nicht. Kleine Broschüren mögen handlich wirken, aber für Layout
und Grafik sind A5 Formate der reinste Horror, und selbst bei äußerster
Konzentration des Inhalts wird man selten ein Ergebnis erhalten, das in seiner
Erscheinung nicht irgendwie einem völlig überladenen Barockgemälde gleicht.

2. Uns, mich, mir, mein
– Ansprechpartner ohne Zahl
Im akademischen Bereich gilt es, warum auch immer, als eher unschicklich in Texten
das eigene „Ich“ und „wir“ zu prominent in den Vordergrund zu stellen. Die Möglichkeiten
dies elegant zu umschiffen führen dabei teilweise zu eher interessanten
Satzkonstruktionen: Von sich selbst in der dritten Person zu sprechen ist nur
eine davon.  

3. Östlich, westlich,
südlich: Himmelsrichtungen sind Glückssache

Rechts vom Eingang,
rechts neben dem Eingang, rechts nach dem Eingang, gegenüber dem Eingang..
Ortsangaben sind die eigentliche Königsdisziplin. Bedeutet „Rechts vom
Eingang“, dass man außerhalb des Gebäudes steht, oder soll man dieses betreten
und sodann rechts abbiegen? Wo genau endet der „Eingangsbereich“: – Stellt sich
der Nutzer hier den Glasdurchgang vor, durch den man zur Eingangstüre gelangt, oder
handelt es sich vielmehr um den vorderen Teil der Bibliothek. Ebenso unklar ist
die Frage, wie man den „hinteren Teil der Bibliothek“ am besten bezeichnen
soll.
Wir haben, unter vielen anderen Varianten, für unsere Zeitschriftenhalde die Bezeichnung „im östlichen Teil
der Bibliothek“ erwogen, diese aber aus Gründen der Anwendungsfreundlichkeit
wieder verworfen.
Die meisten Menschen wissen nämlich gar nicht so genau wo Osten ist, auch wenn
sie es nicht  zugeben würden.
Die Rückgabebox, eines unserer wichtigsten Services, steht jedenfalls im
vorderen Bereich der Bibliothek, den wir als „Eingangsbereich“ verstehen. In
Extremfällen mündet der Wunsch, das „wo“ einer Sache möglichst klar auf den
Punkt zu bringen, in absoluten Nulldestinationen, wie „vor Ort“.  

4. Sie da, hören Sie mal!

Man will höflich bleiben, adressiert man doch qualifiziertes
Fachpersonal und geschätzte Kunden. Aber ein gewisser imperativer Tonfall lässt
sich doch nicht vermeiden; schließlich will man dass die Leute auch tun, was
man ihnen empfiehlt. In diesem Spagat entwickelt jeder, der häufiger mit
solchen Texten befasst ist, schnell und ganz zwangsläufig ein Repertoire schizophrener
Formulierungen, die auf jene ganz bestimmte, höfliche Art und Weise
Unmissverständliches kundtun.

Bedenken Sie, dass
und
Beachten Sie bitte, sind erprobte
Formulierungen, und bedenken Sie auch bitte, jedes
müssen Sie“ darauf zu prüfen, ob es
nicht auch das etwas sanftere „können Sie
tut.

Die hohe Kunst der verbindlichen Unverbindlichkeit gipfelt bei Profis des
Genres in Sätzen wie:
„Ich darf Sie jetzt herzlich dazu einladen,
mein Büro zu verlassen.“

5. Details finden Sie
Sparen Sie sich die Details, Details machen bloß Angst. Wer eine Broschüre
überhaupt bis zu diesem Punkt gelesen hat, wird spätestens bei dem Stichwort
„Details“ die Nerven verlieren. Sollen Details unbedingt vorkommen, ist man gut
beraten sie unter einem möglichst unverfänglichen Header zu verstecken, zB in „Allgemeines“.

6. Die Grundsätzlichkeit
der Dinge
Es ist nicht grundsätzlich falsch das Wort „Grundsätzlich“ zu gebrauchen,
allerdings verwendet man es grundsätzlich zu oft. Das Wort „Grundsätzlich“
zeigt in solchen Broschüren immer an, dass sogleich eine Fülle von Ausnahmen
aufgezählt werden wird. Die Ausnahmen von der Regel folgen dabei dem Schema der
Radio Eriwan Witze:

„Ist es richtig, dass allen
Nutzern im Scanner-Raum auch ein Kopierer zur Verfügung steht?“
„Im Prinzip ja.
-Nur dass es kein Kopierer ist, sondern ein Multifunktionsgerät.
-Und es steht auch nicht im Scannerraum, sondern in einem geheimen Raum.
-Und dieser ist nur für MitarbeiterInnen zugänglich.“

Grundsätzlich ist dieser Aussage daher zuzustimmen. 


7. Es hängt alles mit allem zusammen

Werden ganze Absätze gestrichen, ist immer ein gewisser Dominostein-Effekt
einzukalkulieren: Ein Text-Problem das an einer Stelle gelöst wird, wird
zuverlässig an anderer Stelle im Text ein neues Problem verursachen. Machen Sie
sich trotzdem keine allzu großen Sorgen über die Gliederung, denn: Es hängt alles mit allem zusammen.

8. Wiederholungen:
Nägel, Köpfe und das Hammerproblem
Auch nach der 5. Und 6. Feedback-Runde möchte man nicht glauben, was die
Wahrheit ist: Man neigt dazu zu schwadronieren. Selbst wenn man denkt, man hätte
bereits alle Wiederholungen restlos aus dem Text entfernt, finden sich immer
wieder aha-Momente der Sorte „da hamma das ja NOCH mal geschrieben!“. – Hase und Igel. Lassen Sie
daher die Broschüre unbedingt von jemandem gegenlesen, der pragmatisch denkt und so wenig wie möglich
Ahnung von der Materie hat, am besten von einem schweizerischen Sportverein.

9. Kill your Darlings
In
projektbetonten Betrieben gibt es zusätzlich ein Phänomen, das wir die „Überalligkeit
der Lieblinge“ nennen können: Wer einen Hammer in der Hand hat, für den sieht alles aus wie ein Nagel. Projekte und Services, auf die man aktuell gerade
besonders stolz ist, wie unser Service KONTAKTBIBLIOTHEKAR oder den
E-LEARNING-BEREICH, neigt man dazu an jedem Eck und Ende anzuführen. Auch dort
wo es überhaupt keinen Sinn ergibt. Achten Sie mal drauf!
Mehr dazu übrigens in unserem elearning-Bereich:
https://learn.wu.ac.at/bibliothek/

Fazit: Vor Ort
Falls Sie das alles etwas verwirrend finden, zu umfassend,
oder schlicht zu wenig informativ: Beachten Sie bitte, dass die Obgenannte
gerne auch persönlich Auskunft gibt. Sie finden mich vor Ort, im östlichen Teil der Bibliothek, gegenüber des Eingangs, in
der roten Rückgabebox.