Geheime Mächte

In den letzten Wochen haben wir uns ziemlich viel an den Instituten herumgetrieben. Es galt ältere Bestände zu sichten, Nachbestellungen zu überlegen. zu entscheiden was noch für ein paar Jahre ins Magazin wandern oder endgültig verabschiedet werden soll.

Eine abwechslungsreiche und dennoch manchmal mühsame Angelegenheit, bei der einem immer wieder Preziosen vergangener Zeiten begegnen, in diesem Fall Aktienrecht aus verschiedenen EU-Ländern, und ältere rechtstheoretische Schriften.

Der Staat und seine Feinde

Auch in den Neuerwerbungen spiegelt sich das Thema „Staat“ in allen Varianten. Die jüngst erschienene Kelsen Biografie ist nach kurzer Corona-bedingter Verzögerung nun auch im Haus, und wir können endlich wieder ruhig schlafen.

Wenig Neues dafür  bei den Dauerthemen, die uns in Büchern und in der realen Welt beschäftigt halten: Versicherungen und Banken sind alles Kriminelle, Zahnsanierungen sind teuer, und wenn irgendwo etwas mit Geheimdiensten am Laufen ist, haben gewiss die Russen ihre Finger im Spiel.

Lokalaugenschein

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Es gibt Bücher, die sind so seltsam, dass man es im ersten Moment kaum glauben kann. Eines davon ging noch kurz vor der Corona Krise als Verlagsgeschenk über unseren Schreibtisch. Da man ja nun wieder unter gewissen Einschränkungen in Restaurants und Bars konsumieren darf, haben wir es vor den Vorhang geholt.

Ich gebe zu, dass ich mir die Frage noch nie gestellt habe, bis mir dieses kleine Büchlein unterkam: Was essen Juristen gerne? – Laben sie ihr Herz gerne am saftigen Schweinsbraten während sie Verträge mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter erörtern? Stochern sie lieber im veganen Curry wenn sie Pflichtteile und Gesellschaftereinlagen berechnen, oder trifft man sie doch eher am bodenständigen Würstelstand? Wo kann man dieser juristischen Elite „leibhaftig“ begegnen, wenn man mal ein kleines Mietrechtsproblem besprechen muss, und wie ticken sie überhaupt, diese feinsinnigen, gesetzestreuen Halbgötter des Paragraphendschungels? Der Verlag Österreich hat es für uns herausgefunden.

Das jüngste Gericht 

Auf einem handlichen Broschürenformat erzählen hier namhafte Juristen von ihren Lieblingslokalen, warum sie dort gerne hingehen, und was man da am besten isst. Gerichtshofpräsidenten, Politiker und Großkanzleisten werden aufgeboten, und so viel sei verraten: Der gemeine Jurist ist eher kein Asket, er spricht gerne dem Wein und dem Kaffee zu und weiß eine gute, deftige Küche zu schätzen. Außerdem ist der „namhafte Jurist“, ausgehend von den Ausbildungsgenerationen immer noch eher ein Mann.

Von Tafelspitz bis Würstelstand

Tatsache, auch der Würstelstand kommt als Lieblingsadresse vor (und das in einer Stadt wie Wien völlig zu Recht!), aber auch erlesenere Speisen und Adressen werden besprochen. Den Vogel aber hat Heinz Krecji abgeschossen. Der 2017 verstorbene Experte für Unternehmensrecht erzählte hier von einer „kleinen feinen Adresse im 1. Bezirk“, wo ihn ein “ ganz besonderes Naheverhältnis mit der Wirtin“ verbindet, die ihm als Stammgast daher auch stets sein Leibgericht kocht:
„Angenehm ist auch, dass das Lokal rund um die Uhr offen ist. Meist bin ich schon am Morgen dort, zu Mittag oft und in der Regel auch am Abend. Außer ich habe einen anderen Termin. Dazu begleitet mich die Lokalbesitzerin. Sie sperrt dann das Etablissement schlicht und einfach zu.

Ich wünsche jedem so ein Lieblingslokal wie das meine. Das meine aber behalte ich für mich.“

In Memoriam Heinz Krecji

 

Paranoia

Es gehört zur Natur des Menschen, dass er in scheinbar zufälligen Anordnungen ein System erkennen will, oder relativ allgemein gehaltene Aussagen auf seine eigene Person bezieht, wie das etwa bei Horoskopen der Fall ist. In der Psychologie kennt man so etwas als Barnum-Effekt, und auch wir Bibliothekare sind davon nicht ganz frei: Was dem einen sein Horoskop, sind dem Bibliothekar die Titel der Neuerscheinungen. Oft fühlt man sich von Buchtiteln regelrecht kommentiert, etwas, was man auch als Neuerwerbungs-Paranoia bezeichnen könnte.

Die Auswahl dieser Titel enstand noch vor Corona, und ist eine wilde Mischung aus Handapparaten, Neubestelltem und Rückgaben. Und doch ist vom Skifahren in Tirol über Bad Leadership, Digitale Technologie und häusliche Gewalt so gut wie alles thematisch vertreten, was in den letzten Monaten Nachrichtenthema war..
Innere Welt und äußere Realität“ klingt wie eine etwas poetischere Anspielung auf die Zeit der Corona Heimquarantäne, ebenso „Die verzockte Freiheit„. Eine große Uhr gemahnt an die Mutter aller Fragen, und die lautete in den letzen Monaten: Wie lange dauert das noch?

Gewidmet zum Valentinstag: Die schönsten Widmungen aller Zeiten

To whom it may concern:

Sie wissen es nicht, aber wir urteilen über Sie: Bibliothekare sind gute Kenner der Menschheit, und sie beobachten mit einem feinen moralischen Sensorium ihre Umgebung und das Verhalten ihrer Zeitgenossen. Nicht jeder und jede kann vor diesem kritischen Blick bestehen. Besonders gut zeigt sich dies an der Widmung eines Buches.

Es ist ein Klischee, das stimmt: Wenn wir ein Werk aufschlagen lesen wir zuallererst die Widmung. Wir lesen diese oft recht intimen Zeilen und entscheiden in Sekundenschnelle, ob der vorliegende Autor ein Psychopath oder ein anständiger Mensch ist, der unseren hohen moralischen Ansprüchen zu genügen weiß.
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Die Reihenfolge
Die Widmung ist die persönlicheste Stelle eines Werkes. Nur hier hat man kurz Gelegenheit für einen Moment hinter die seriöse wissenschaftliche Fassade zu blicken, die Umstände des Werkgeschichte zu begreifen und vielleicht die ein oder andere Information über die/den Autor/in in Erfahrung zu bringen. Eine seltsames Gefühl von Indiskretion beschleicht einen zuweilen, wenn man diese oft recht intimen Zeilen liest, die zudem nicht selten im krassen Widerspruch zum kühlen Duktus der Wissenschaftssprache stehen.

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Äh was? Welches Spiel? – Und wo war eigentlich Siegbert, während Sandra und Sabine gute Miene gemacht haben, und heißen in dieser Redaktion alle mit S.. am Beginn? Fragen über Fragen..

Als Bibliothekare achten wir vor allem auch auf die Reihenfolge der Aufzählung, und die klassische Reihenfolge hat bisher zu lauten: Betreuer, Institut, Eltern, Partner. Der oder die Partnerin werden traditionell zuletzt genannt, mit einer einleitenden Formel wie: „Am allermeisten gilt mein Dank aber..“,  und das ist völlig in Ordnung. Dem Partner zu danken birgt natürlich ein gewisses Risiko: Wer weiß ob die Beziehung oder Ehe den Schreibprozess übersteht… Wie unangenehm wäre es, wenn Schnuppelhäschen oder oder Bussibär zum Abschluss des Buches bereits woanders ihr Glück gefunden hätten? Das kann schnell peinlich werden.
Ein kluger Mann hat einmal gesagt: „Danken Sie in Ihrer Widmung Leuten,  von denen Sie realistischerweise nie wieder loskommen. Danken Sie ihren Eltern.“

Wenn man sich denn aber sicher ist, und sich bezüglich des Beziehungsrisikos schon aus dem Fenster lehnen möchte, dann auch so richtig: Kürzlich hatte ich die erste Arbeit auf meinem Schreibtisch, die mit dem Dank an die Ehegattin beginnt, und das ist ungewöhnlich und lobenswert.
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„you are to me the chief woman in the world – the throned lady whose colours I carry between my heart and my armour.”

Aus dem Archiv:
Das schönste am Buch ist für mich immer die Widmung. Scheinbar nebensächlich, erzählt sie doch viel über AutorInnen und Herausgeber, manchmal eine halbe Lebensgeschichte.

Ein Klassiker. Auch typographisch gesehen.

Schon etwas persönlicher, und angemessen schuldbewusst.

Auch hier ein sinnvoller Ansatz, quasi mit integrierter Abwesenheitsnotiz.
“Immer da wo du bist bin ich nie.” sagen Element of Crime.

Kurz und gut, hiermit ist alles gesagt.

 

Die Wahrheit über uns

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Das Zitat der Woche, aus einem Lokal in Campus-Nähe..
Ich: „Ach schau, hier gibt es den passenden Wein zu unserer Bibliothek!“
Kollegin: „Ja, MAD. Weil wir alle verrückt sind.“

Der Bibliothekar, der den Verstand verliert, ist überhaupt ein beliebtes Sujet: In Elias Canettis „Die Blendung“ gibt es einen Hauptcharakter mit einem ganz eigenen Fetisch für Bücher..zum Ende der Erzählung fällt er dem Wahnsinn anheim, und verbrennt sich samt seiner Bibliothek..Wollen wir hoffen dass es bei uns noch etwas dauert, bis wir solche Geisteszustände erreichen..
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Unten: Aus den anderen Fachreferaten..

Das Recht in Zitaten

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In der täglichen Sacherschließung fallen oft kleine Eigenheiten ins Auge, gerade wenn man auch mit älteren Beständen befasst ist. Im Moment gibt es hier wieder ein größeres Projekt, bei dem auch alte und sogar sehr alte Bücher gesichtet werden, und dabei taucht so Einiges auf: Sei es eine poetische Widmung, ein schrulliges Zitat, ein Erratum, ein Stempel oder ein besonders bemerkenswertes Ex Libris. Nicht alle diese kleinen Dinge lassen sich immer in größere Texte einbetten, und so werden sie Teil einer größeren, immerwährenden Sammlung im Fundus der Bibliothekare. Hier ein kleiner Einblick, unsortiert aus dem Kräutergarten der juristischen Fachliteratur..

„Unter den theoretischen Juristen“

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„A glimpse behind the scenes..“

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..der kleine Prinz und die Elefantenschlange..in: Legal Methods

„Ich freue mich sehr!..“

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..das Leben eines Finanzsenators..

Belastungsgrenzen
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Umwege..
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„So eine Bibliothek ist eine sehr demokratische Einrichtung..“
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So eine Bibliothek ist eine sehr demokratische Einrichtung, das ist gewiss..Das gesamte Wissen ist in ihr aufmarschiert, zusammen mit hochwertiger Literatur [..] und anderen Werken, und auch wenn das Gesetz des Lebens sagt, dass es nicht jedem gegeben ist, all das zu durchdringen, so ist es doch für die meisten zugänglich, wen sie nur guten Willen zeigen.

aus Erik Fosnes Hansen, Ein Hummerleben.

Schuld und Söhne

Diese Woche spendete uns ein Professor ein Buch für unseren Bestand, dessen Titel uns Mark und Bein gefrieren ließ: Der gespaltene Emittent! Spontan imaginierten wir bei diesem Titel eine düstere Figur als Mischung aus dem kopflosen Reiter und dem Einarmigen Banditen. Wir warten jetzt eigentlich nur noch auf die Horrorfilmfassung, und das Sequel: „Der gespaltene Emittent kehrt zurück!“. Das Kapitalverkehrsrecht ist eine brutale Angelegenheit, so viel ist klar. Doch gibt es auch andere Rechtsgebiete mit Krimipotential? – Wir haben uns umgesehen.
Der Herbst wird düster..

Klassiker für jung und alt
Die Älteren unter uns erinnern sich an Klassiker wie „Der Geschäftsführer ohne Auftrag“ oder „Der Steueroptimale Tod“, aber auch das Handelsrecht weiß mit guten Romantiteln aufzuwarten. Der erfolgreiche Geschäftsführer (offenbar Science Fiction), und die beiden Thriller Die unwahr gewordene Firma (ohne Tom Cruise) und Der Kaufmann, seine Vertreter und Gehilfen (ohne Venedig). Die Geschichten dazu müssen sie sich aber selbst ausdenken.

Freigegeben erst ab 18 Jahren

Dünn und brüchig verläuft die Linie zwischen Prosa und Juristerei. Aufgrund der übernommenen Institutsbestände haben wir allerdings, Schirach sei dank, tatsächlich das ein oder andere belletristische Werk im Regal.
Gruselschocker aus der Strafrechtsabteilung: Mord aus niederen Beweggründen, Die Haftung des Arztes, und Der privatärztliche Abrechnungsbetrug (ein Nervenzerfetzer für Sozialversicherungs-Sachbearbeiter).

Aber all das ist Kinderkram, und im Grunde auch für <16 Jährige freigegeben. Der wahre Grund, warum wir einen strengen Jugendschutz in der Bibliothek einhalten müssen, sind Hardcore Gruselschocker wie diese: Der Baum im Nachbarrecht und, nur für die besonders hartgesottenen Thriller-Fans: Mehrkosten im Bauvertrag.

Und auch für uns Bibliothekare war ein spannender Fund dabei: Der Bibliothekar als Betrüger. Dieses Werk (es stammt von 1930) wird sofort am Montag aus dem Magazin beschafft und einer näheren Betrachtung unterzogen werden müssen!

Der Bibliothekar als Betrüger. Schlagwort und Aufstellung, Schlagwortkatalog und Standortskatalog

Fifty Shades of Grey – die gemeine Poesie der Erwartungshaltung

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Die Erwartungshaltung ist ein Hund. Das zeigt sich nicht nur beim Zugfahren in der ÖBB Ruhezone (dort ist es nämlich alles mögliche, nur nicht ruhig), sondern trifft auch für das ein oder andere Buchcover zu. Über Thomas Bernhard wird erzählt, dass sich die Leute bei ihm beschwert hätten, weil sein Buch „Beton“, im Fachhandel in der Abteilung „Bauen und Wohnen“ einsortiert, ihren Erwartungen so gar nicht entsprochen habe. Wie muss es dann wohl erst seinem Roman „Holzfällen“ ergangen sein, möchte man denken, wenn man durch unser Festschriften-Regal schweift. Dort findet sich immerhin ein Werk mit dem pragmatischen Titel: Brücken bauen.
Fifty Shades

Festschriftenpoesie
Die Festschrift, von jeher eher ein literarisches Nischenprodukt,  dient heute allenfalls noch dazu Studenten mit dem Staub der Vergangenheit maximal zu langweilen. Auch die Publikationsgeschichte mancher Festschriften gleicht eher einem Trauerspiel mit hässlichem Termindruck, vergnüglich dazu Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren. Vielleicht um ihren eher randständigen Charakter im Buchregal mit dem gewissen Chic zu kompensieren, tragen Festschriften oft die poetischsten, ja man möchte fast sagen, reißerischsten Titel. Sie funktionieren grundsätzlich nach der Formel „Hauptwort UND Hauptwort“ (Wahrheit und Pflicht/Krieg und Frieden/Sinn und Sinnlichkeit, etc.), beinhalten aber auch gerne ganze Sätze, die in Goldprägung auf körniges Dunkelblau hingeworfen sind, und jedem von Eichendorffschen Zitatespiegel Konkurrenz machen könnten: Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus. Eine besonders obskure Kategorie von Schriftentiteln vergemeinschaftet schließlich einen regionalen Aspekt mit einem möglichst weit umfassenden Sinnwort, was dann ungefähr so klingt:  Die Sintzsheimer Abgründe, die Olbrichsburger Argumente oder die berühmten Hohenheimer Horizonte, wer kennt sie nicht. Eine besondere Vorliebe für derlei imposantes Titelwerk hegt man offenbar in der Schweiz.

Fifty Shades of Grey

Ein Lehrender der hiesigen Anstalt schrieb jedenfalls eine Habilitation mit dem Titel „Wert und Preis“, und das ist ja nun von Jane Austens berühmten Roman „Stolz und Vorurteil“ durchaus nicht mehr weit entfernt, auch wenn darin wohl mehr geliebt und geleidenschaftet wird als im Gesellschaftsrecht.

Dont judge a Book by its cover
Aber nicht nur der Titel, auch das Coverbild eines Buches kann in die Irre führen und überzogene Erwartungen wecken. Erstaunliche Assoziationen und ein überwältigendes Hungergefühl weckten vor Kurzem einige neu eingetroffene Bücher zum englischen Schadenersatzrecht/Tort law, die auf den ersten Blick eher der Kochbuchsparte entstammen könnten. Tort law, na klar, von Torte, da müssen ja Kekse aufs Cover, könnte man meinen, aber dieser Kalauer ist denn doch etwas zu platt als dass wir ihn uns ernsthaft als Erklärung in Betracht ziehen wollten.

Absoluter Gewinner in dieser Kategorie bleibt bis heute der Delfin auf dem Kommentar für Arbeitsrecht, der uns Rätsel aufgibt. Warum der Delfin? Gelten Delfine als besonders sozial oder fleissig? Sollte drum hier die Brücke zum Sozialrecht zaghaft angedeutet werden? Sind sie in Gruppen unterwegs, vielleicht ein zarter Verweis auf das Kollektivvertragsrecht?.. Wir werden es wohl nie erfahren, womöglich hatte einfach jemand im Verlag eine Wette verloren, oder dem Setzer sind in der Hektik der Drucklegung eine Handvoll Urlaubsfotos ausgekommen. Wir Bibliothekare wollen ja immer das Gute und Schöne in den Dingen sehen, und vor allem erkennen wir stets ein System, selbst dort noch wo möglicherweise purer Zufall am Werk ist, oder anders gesprochen: Wenn man lange genug den Mond anstarrt, sieht irgendwann jeder ein Gesicht.

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Danksagungen
Aus diesem Grund werden wir sogar gelegentlich bedankt, was auch in poetischen Formulierungen geschieht.

 

Ein Garten voller bunter Pflanzen

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In einer großen Universitätsbibliothek ist immer etwas los. Während das Wetter in Wien sich zunehmend zur Stimmung eines Rilkegedichts verdüstert (Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben..), läuft die Bucherwerbung zu ihrem absoluten Höhepunkt auf. Zu keiner Zeit des Jahres werden so viele Bücher bestellt wie jetzt.

Wie die meisten Bibliothekarinnen haben wir eine bibliophile Ader, die sich gerne auch an rechtshistorischen Obskuritäten, Illustrationen, alten Stempeln und Exlibri sowie philosphischen Abhandlungen über das Rechtswesen und den Buchmarkt erfreut. Deswegen freut es uns besonders, wenn um diese Zeit des Jahres auch das ein oder andere Werk dieser Sorte zu uns kommt. Hier etwa ein Ausstellungskatalog zu Recht im Bild.

 

Alter Falter

Heute ist etwas passiert, was in Bibliotheken wirklich nicht so oft vorkommt: Ein Buch aus der hier schon öfter erwähnten Gedächtnisbibliothek Prof. Rill, die im Zuge der Erschließung immer interessanter zu werden scheint, hat sich beim Aufschlagen als sehr alt herausgestellt. Also wirklich alt:

1779.

Unnötig zu erwähnen, dass bibliophilen Fachreferentinnen bei diesem Anblick das Herz höher schlägt.

 

Das Buch ist sehr leicht, da die Seiten dünn wie Schmetterlingsflügel sind, links ist dafür eine halbe Textilfabrik mit eingebunden. Bemerkenswert bei einem so alten Buch sind auch die Verzierungen und das Impressum, hier eine Buchdruckerin (zumindest sieht sie verdächtig weiblich aus) mit Werkzeug und einem rätselhaften Tier, und dem Leitspruch, frei übersetzt „Weiter durch Arbeit und Gunst“.

Es handelt sich um ein Werk zum Zivilrecht, so weit kommt man auch ohne Stowasser noch. Wie alle Bibliothekare spreche ich selbstverständlich fließend Latein, was mich aber nicht verleitet Ihnen Näheres über den Inhalt preiszugeben. Nur so viel: Was dann geschah, damit hätten Sie nie gerechnet…!
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Auf Wikipedia kann man dann dankenswerterweise noch Näheres über den Wiener Buchdrucker Thomas von Trattner erfahren, dass er nämlich auf lizenzrechtlich, sagen wir fragwürdigen Wegen zahlreiche Bestseller seiner Zeit kostengünstig auf den Markt brachte, kostengünstig auch weil teilweise sinnentstellend um Seiten reduziert.

Nicht nur, dass diese Autoren, wie damals üblich, keinerlei Tantiemen bekamen, viele dieser Werke wurden von Trattner nach der österreichischen Zensur „entschärft“ und damit z. T. erheblich entstellt. Dadurch machte sich Trattner besonders in den norddeutschen Gebieten erbitterte Feinde unter den dortigen Buchhändlern und Verlegern, die durch Trattners Nachdrucke deutliche finanzielle Verluste hinnehmen mussten.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen den Zivilrechtskodex lesen, und dann endet das Ding in der Mitte und auf der letzten Seite steht „An dieser Stelle ist uns leider das Geld für den Druck ausgegangen.“
Tja. Es waren andere Zeiten.

Ein schöner Fund jedenfalls. Wir glauben, dass es das älteste juristische Buch im Hause sein könnte.