Schwierige Zeiten zwingen die Herrscherin von Siechenstadt zu unangenehmen Kompromissen..
Kategorie: Corona
Fahrende Händler








Locktown
Sturm auf die Bastille. Sorgenvolle Zeiten kommen auf Siechenstadt zu, und die Herrscherin steht vor schwierigen Entscheidungen.









St. Corona


Ausgangssperre
Da wo der Staat in seiner Weisheit wacht, da darf das Volk getrost Vertrauen haben.







Neues aus Siechenstadt

In den letzten Wochen hat sich die Situation leider weiter in Richtung Mittelalter entwickelt. Die Bibliothekarinnen halten unverdrossen die Stellung, in einer Welt, die sich zusehends auf wesentliche Frage zuspitzt: Wer darf WO sein? Und Warum.
Eine Rundschau über die großen Fragen der Menschheit.
An was dürfen wir glauben?

Wen dürfen wir sehen?

Wohin dürfen wir gehen?

Was dürfen wir tun? (Niesen jedenfalls besser nicht)


Siechenstadt

Die Corona-Pandemie hat vielfach analoge Dinge in den Alltag zurückgeholt, die man eher aus dem Mittelalter kennt. Die Bibliothekarin findet nicht nur Schlechtes dabei.
Persönliche Anmeldung, Warten vor gestrengen Schaltern, regelmäßige Waschungen, Maskierung und das Weiterrufen von Hausdach zu Hausdach (oder von Mail zu Mail): „In diesem Hause ist ein Infizierter gewesen, habet acht!“ – Manches in unserem Alltag in der Bibliothek erinnert derzeit wieder an das Mittelalter. Für die Bücher ist das zweifellos von Vorteil, sind sie doch so weit geschützter vor dem Zugriff der frechen Nutzer.

Früher war es in Bibliotheken üblich, dass man einen förmlichen Antrag stellen musste, in dem man sein Anliegen darlegte, Sie können das vergleichen mit einem Partnerinserat, in dem es am Schluss heißt: „nur ernstgemeinte Zuschriften bitte“.
Gestrenge Bibliothekare prüften dann, ob der Zutritt gestattet wurde, man durfte also nicht einfach so vorbeikommen.

Die Pandemie hat es mit sich gebracht, dass wir teilweise wieder auf ganz ähnliche Mittel ausweichen müssen: Mancherorts werden wieder Lesesaalkarten ausgegeben, ein fixer Schreibtischplatz muss reserviert werden und beim Rückstellen tragen wir Bibliothekare jetzt öfters Handschuhe. Die Öffnungszeiten haben sich ebenfalls geändert, und mittags ertönt ein Gong, der zur Lüftungs- und Desinfektionspause ruft und die Leute hinausschickt.

Zu meiner Studienzeit wohnte ich übrigens in der Ayrenhoffgasse, und schräg gegenüber lag ein ehemaliges Krankenhaus mit dem großen Schild, „Anfahrt für Infektionskranke“. Was ich damals lustig fand, lässt mich dieser Tage manchmal zurückdenken und leise schauern..

Die Kollegin und ich haben diese Woche einen Vortrag über historische und aktuelle Benutzungsordnungen gehalten, der sich ganz ähnlichen Themen widmete. Dabei haben wir gelernt, was mittelalterlichen Buchbenutzern drohte, die sich nicht an Regeln hielten (mitunter: das Höllenfeuer). Das Höllenfeuer finden wir zwar etwas übertrieben, aber, natürlich träumen wir nun davon, unsere Bücher wieder mit Ketten an Pulten festzumachen, außerdem wünschen wir uns eine Kanzel, von der herab wir aktuelle Verordnungen und Mahnungen feierlich verlesen könnten..zB solche des Gesundheitsministeriums.. Jedenfalls finden wir den neuen Respektsabstand, den die Nutzer uns entgegenbringen nicht nur negativ. Es muss ja nicht gleich das Höllenfeuer sein.

Gaudeamus igitur
Auch wenn wir hier gerne makabere Scherze machen. Falls Sie nun glauben, uns wäre hier die ganze Zeit so zum Lachen zumute: Dieser Tage fand auch wieder die erste Sponsion an unserer Uni statt. Rektorin und Vizerektor zogen in ihren Talaren und mit schwarzen Masken zu Gaudeamus igitur ein. Sogar das Orchester durfte spielen, eine kleinere Besetzung und unter strengen Sicherheitsabstandsbestimmungen.

Eine schauerliche Szene irgendwie, würdig, feierlich und auf eine Weise ja, sehr mittelalterlich.
Man sah sich auf einem mittelalterlichen Marktplatz wieder und fragte sich spontan: Wo wird denn jetzt hier die Hexe verbrannt?
Aber dennoch: Hier wurde eine wichtige und würdige Feierlichkeit für unsere Studienabsolventen in schwierigen Zeiten stilvoll umgesetzt, und dennoch nach außen getragen, dass wir eine Vorbildwirkung haben und „die Sache“ sehr ernst nehmen hier.
Ich war für einen Moment sehr stolz auf meine Universität.
Von den Zusehern via 3Sat

Das Mysterienspiel der Bibliothekarinnen in Zeiten von Pest und Cholera
Das Schweigen am Ende der Leitung
Nun ist sie also vielleicht bald überstanden, die unmittelbare Krise, oder zumindest scheint das Schlimmste für den Moment abgewendet. In den letzten Wochen haben wir viel gelernt, über uns, und die anderen, über das menschliche Miteinander, das Abstandhalten und die zahlreichen Irrwege der fernmündlichen Kommunikation.
Videotelefonie: Einer hat immer den Ton aus
„Sprich, damit ich dich sehe“ soll Sokrates gesagt haben, und er kann sich damit zweifellos nur auf jene Art der Videotelefonie bezogen haben, die in den letzten Monaten in vielen Büros schnell als Mittel der Wahl für den Austausch mit Kollegen etabliert wurde.
Ein Programm mit dem Namen Z.. (ich will hier keine Werbung dafür machen) galt als datenschutztechnisch verschrieen, und hält doch die unumstrittene Führung in Sachen Bildtelefonie, jedenfalls sobald es um größere Gruppen im beruflichen Kontext geht.
Grenzerfahrungen
Auch im Fernsehen wurde es üblich, dass Experten und PoltikerInnen sich aus ihren eigenen vier Wänden in die Nachrichtenformate hinein interviewen ließen. Niemals werde ich Lou Lorenz-Dittelbacher vergessen, wie sie mit den goldenen Worten den Sonntag Spätabend eröffnet: „Ich begrüße Sie herzlich zu einem Runden Tisch, an dem ich, wie Sie sehen, wieder ganz alleine sitze.“ Niemals haben wir auch so viele Bücherregale im Fernsehen gesehen (lesen Sie dazu auch warum man mit mir nicht ZIB2 schauen kann), denn das private Bücherregal etablierte sich rasch als allgemein akzeptierte Bühne für Einschätzungen zur Sachlage, politische Statements und Expertenmeinungen. Gewiss kennen auch Sie diese Dinge, die man sich ins Bücherregal stellt, die eigentlich nur der Dekoration dienen und bildungsbürgerlichen Flair versprühen sollen, für wenn Besuch kommt. So konnte auch der coronagemäß isolierte Normalverbraucher sich ein wenig verstanden fühlen, wenn allabendlich die bildschirmerhellten Köpfe von Virologen und Kulturschaffenden zwischen Haruki Murakami, Tolstoi und Brockhaus hervorlugten, um zur aktuellen Lage zu referieren.
Auch Grenzerfahrungen anderer Natur gab es: In Videoschaltungen wurden aufrichtige Einblicke in die Haushalte von Kollegen und Kolleginnen inklusive Hund und Kind gewährt, und manch eine/r stellte erstaunt fest, wie viel seiner Tätigkeit im Homeoffice problemlos erledigt werden kann.
Diese Videokonferenzen sind gewiss etwas fehleranfällig, ich sage mal so: Es ist noch Luft nach oben.
Die Unis und die Krise
Am leichtesten hatten es die Unis. Seit Jahren auf einen solchen Fall vorbereitet, stellten sie souverän und quasi über Nacht ihren kompletten Lehr- und Prüfungsbetrieb auf Distanzlehre und digitale Formate um, hielten engagiert und fürsorglich Kontakt zu ihren Studierenden, und jammerten dabei kein bisschen.
Naja. So zumindest wird man es sich dereinst erzählen.
Die digitale Bibliothek
Bibliothekare sind innovationsfreudige Menschen, auch wenn man uns gelegentlich anderes nachsagt. Wir passen uns schnell an veränderte Gegebenheiten an, und schrecken (einmal vor vollendete Tatsachen gestellt) kaum vor neuen Systemen zurück. Vielleicht auch weil wir gelernt haben, dass wir am Ende keine Wahl haben. Wer alle paar Jahre wieder mit einer neuen Bibliothekssoftware konfrontiert wird, die von irgendeinem wenig fachlich, aber dafür umso mehr finanziell interessierten ausländischen Softwareanbieter aus dem Boden programmiert wurde, der wird reichlich stabil in Sachen Frustrationstoleranz.
The medium is the message
Der Vorteil an Videotelefonie am Laptop ist, dass man dabei in aller Regel die Hände frei hat, um zum Beispiel zu tippen oder zu telefonieren. Das ermöglicht seltsame kommunikative Totalerlebnisse, die die Verschränkung der verschiedenen Kanäle auf neue Extreme treiben: Den Vogel schoß eine Kollegin ab, die mit ihrem Handy mit einer dritten Person telefonierte, und davon in die bestehende Videokonferenz hineinberichtete, also WÄHREND wir gleichzeitig miteinander skypten. Generation second screen? Way ahead of you!
Und so wurden auch bei uns tapfer neue Software-Welten beschritten, es wurde mit Headsets gekämpft und Kabelsalat gebändigt, mehr als einmal kam es zu schweren Kaffeetassenunfällen. Gelegentlich verschwindet auch einmal ein Kollege wortlos aus der Runde, es wird dann angenommen, dass er sich Wichtigerem widmen musste, vielleicht war eines der Kinder gestolpert, oder es hat an der Haustüre geklingelt weil ein Lieferant kam, oder die Internetverbindung ist einfach weggebrochen.
Aber die Krise hat uns gelehrt: Das Leben geht weiter.