Bibliotheken und Science Fiction

Es gibt ein Thema, das hier noch viel zu wenig besprochen wurde, und das ist der Zusammenhang zwischen Bibliotheken und Science Fiction: Bibliotheken sind mit all ihren digitalen und papiernen Tentakeln ein geheimnisvoller Kosmos, der sich offenbar hervorragend als Setting für Science Fiction Filme eignet. Auch an unserer Universität wurden schon mehrere Filme gedreht, die in diese Sparte fallen – die Architektur moderner Bibliotheksbauten kommt dem sehr entgegen. Glücklicherweise wurde an unserem Campus dafür eine Spielwiese aus Sichtbeton und Glas geschaffen, die das Herz jedes SciFi Regisseurs höher schlagen lässt.

Orwellsche Bilderwelten

Die Trailer zu den Filmen finden sich übrigens ganz unten im Anschluss an diesen Text. Wer sie anschaut, wird feststellen dass hier an der Wirtschaftsuni eher das Abseitige inszeniert wird: In „Mindgamers“ treten menschliche Roboter gegeneinander zum Kampf an, in „Life Guidance“ überwacht und erzieht der Staat seine Bürger durch digitale Technologien, was insgesamt doch sehr an „Brave new world“ erinnert. Im Tatort „Schock“ geht es weniger metaphysisch zu, aber immerhin gibt es ein Netzwerk radikaler Aktivisten. Studenten zerbrechen hier an den perfektionistischen Erwartungen einer Leistungsgesellschaft, in Gestalt einer Professorin mit eher bizarrem Charakter (Mercedes Echerer). In „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ ist der Name Programm, es gibt viel mystisches Schneegestöber und abgründige Dialoge.

Die Bibliothek an der Grenze zur Realität

Das gemeinsame Element in diesen Filmen ist ihr Bezug zur Realität, sie alle stellen die Frage nach einer scheinbaren „Norm“, der der Mensch entsprechen soll : Es geht um Leistungsdruck, soziale Kälte, Gedankenkontrolle und technische Perfektion. Die Protagonisten dieser Dystopien (Florian Teichtmeister, Fritz Karl,  Lars Eidinger) sind denn auch eher in Grenzspektren der menschlichen Psyche angesiedelt: Es sind Paranoide, Getriebene, Systemerhalter, Narzissten und Karrieristen. Ob das nun so schmeichelhaft für den Bibliotheksbau ist, in dem wir arbeiten.. Nunja, das Normale sieht jedenfalls anders aus.

Der Bibliothekar als Revolutionär: Chronisten für das Unbegreifliche

Neben der Kulisse der Bibliothek eignet sich auch ihr Personal hervorragend um Zukunftsvisionen zu transportieren: Der Bibliothekar und die Bibliothekarin als solche sind glaubwürdige Protagonisten für das Andere, das Unbegreifliche: Unterwegs im Informationsdschungel hantieren sie mit ihren Barcodelesern, die aussehen wie Laserpistolen, tragen nerdige Brillen,  manipulieren mit Daten herum, und wirken dabei selten so richtig bodenverhaftet, was uns grundsätzlich zugänglich für Suspense jeder Sorte macht.

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„Hier scheint es stabiles WLAN gegeben zu haben…und eine Art Sammlung von..kollektivem Wissen..“.
-„Wahrscheinlich eine Art Tempel oder Kultstätte..hier haben sie wohl ihre Gottheiten verehrt..“.
 

Oben sieht man übrigens unser Library Center, aufgrund der Bauweise liebevoll auch „Raumschiff“ genannt. So verwundert es nicht, dass in die Welt des Abgründigen auch der ein oder andere Bibliothekar Eingang gefunden hat, sei es als Charakter in Serien und Filmen, als Actionfigur, Superheldin und ja, auch im Erotikkino. Die vielen Facetten zu besprechen würde und wird vielleicht auch bald noch einen eigenen Blogartikel in Anspruch nehmen, auch gibt es in unserer Bibliothek Kolleginnen, die sich dem Genre sehr verdient in Recherchen nähern. In der Netzwelt gibt es dazu jedenfalls viel zu entdecken: Auf Twitter zB sammelt eine Person namens Pulp librarian alles was mit Popkultur und Bibliothekaren zusammenhängt.
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Beam me up, Scotty!

Eine andere Art von Science Fiction hat sich durch die Harry Potter Potter Filme in englischen Universitätsbibliotheken breit gemacht: Ganz anders als an der WU atmet  man dort noch Eichenholz und altehrwürdiges Buchflair. Die Bodleian Library in Oxford etwa hat als Drehort einen Kultstatus erreicht, der den Kolleginnen dort zweifelhafte Freude und häufigen Besuch von Kamerateams beschert. Vor Jahren war ich dort und traf eine Bibliothekarin, deren Hauptjob mittlerweile darin besteht, bei streng reglementierten Nacht-Drehs eine Art Babysitter für Kameraleute zu spielen. Sie verbringt ihre Nächte damit, die Filmschaffenden zur Ordnung rufen, damit sie den wertvollen Buchbestand nicht mit zu viel Kameralicht bescheinen, die Bodenmarkierungen beachten, und rechtzeitig zur vereinbarten Stunde mit dem Abbau beginnen.

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„Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.“

Ein ähnliches Schicksal ist uns zwar erspart geblieben, für solcherlei Hexenzauber ist unser Interieur leider zu modernistisch. Dafür sollte sich 2014 Tom Cruise bei uns mal für einen Teil von Mission Impossible von einem Dach abseilen. Da er ja angeblich alle Stunts selber macht (zumindest erzählte man sich so), hätten wir das schon gerne gesehen. Der Drehtag kam näher, wir waren alle ganz aus dem Häuschen, internationale Zeitungen schrieben über uns.
Leider kam dann aber etwas dazwischen, aus organisatorischen Gründen wurden die Dreharbeiten kurzfristig an einen anderen Ort verlegt.
Ob das wirklich so war, oder man uns das nur sagte, damit wir nicht nächtens in unserer Bibliothek hinter Papiercontainern auf den Hollywood-Star lauern, haben wir nie erfahren.
Es war jedenfalls alles etwas..mysteriös.

Dank für die Inputs an Ulrike Kugler aus unserer Bibliothek

Fotos: Österreichisches Filminstitut

M – Eine Stadt sucht einen Mörder (ab Minute 0:57)

Mindgamers (ab Minute 1:01)

Life Guidance (ab 0:19)

 

Das Schweigen am Ende der Leitung

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Das Yoghurtbecher-Telefon, ein krisensicherer Klassiker unter den Kommunikationsmitteln

Nun ist sie also vielleicht bald überstanden, die unmittelbare Krise, oder zumindest scheint das Schlimmste für den Moment abgewendet. In den letzten Wochen haben wir viel gelernt, über uns, und die anderen, über das menschliche Miteinander, das Abstandhalten und die zahlreichen Irrwege der fernmündlichen Kommunikation.

Videotelefonie: Einer hat immer den Ton aus

skype„Sprich, damit ich dich sehe“ soll Sokrates gesagt haben, und er kann sich damit zweifellos nur auf jene Art der Videotelefonie bezogen haben, die in den letzten Monaten in vielen Büros schnell als Mittel der Wahl für den Austausch mit Kollegen etabliert wurde.

Ein Programm mit dem Namen Z.. (ich will hier keine Werbung dafür machen) galt als datenschutztechnisch verschrieen, und hält doch die unumstrittene Führung in Sachen Bildtelefonie, jedenfalls sobald es um größere Gruppen im beruflichen Kontext geht.

skype.2Grenzerfahrungen

Auch im Fernsehen wurde es üblich, dass Experten und PoltikerInnen sich aus ihren eigenen vier Wänden in die Nachrichtenformate hinein interviewen ließen. Niemals werde ich Lou Lorenz-Dittelbacher vergessen, wie sie mit den goldenen Worten den Sonntag Spätabend eröffnet: „Ich begrüße Sie herzlich zu einem Runden Tisch, an dem ich, wie Sie sehen, wieder ganz alleine sitze.“ Niemals haben wir auch so viele Bücherregale im Fernsehen gesehen (lesen Sie dazu auch warum man mit mir nicht ZIB2 schauen kann), denn das private Bücherregal etablierte sich rasch als allgemein akzeptierte Bühne für Einschätzungen zur Sachlage, politische Statements und Expertenmeinungen. Gewiss kennen auch Sie diese Dinge, die man sich ins Bücherregal stellt, die eigentlich nur der Dekoration dienen und bildungsbürgerlichen Flair versprühen sollen, für wenn Besuch kommt. So konnte auch der coronagemäß isolierte Normalverbraucher sich ein wenig verstanden fühlen, wenn allabendlich die bildschirmerhellten Köpfe von Virologen und Kulturschaffenden zwischen Haruki Murakami, Tolstoi und Brockhaus hervorlugten, um zur aktuellen Lage zu referieren.

Auch Grenzerfahrungen anderer Natur gab es: In Videoschaltungen wurden aufrichtige  Einblicke in die Haushalte von Kollegen und Kolleginnen inklusive Hund und Kind gewährt, und manch eine/r stellte erstaunt fest, wie viel seiner Tätigkeit im Homeoffice problemlos erledigt werden kann.

Diese Videokonferenzen sind gewiss etwas fehleranfällig, ich sage mal so: Es ist noch Luft nach oben.
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Die Unis und die Krise 

Am leichtesten hatten es die Unis. Seit Jahren auf einen solchen Fall vorbereitet, stellten sie souverän und quasi über Nacht ihren kompletten Lehr- und Prüfungsbetrieb auf Distanzlehre und digitale Formate um, hielten engagiert und fürsorglich Kontakt zu ihren Studierenden, und jammerten dabei kein bisschen.
Naja. So zumindest wird man es sich dereinst erzählen.
klausurDie digitale Bibliothek 

Bibliothekare sind innovationsfreudige Menschen, auch wenn man uns gelegentlich anderes nachsagt. Wir passen uns schnell an veränderte Gegebenheiten an, und schrecken (einmal vor vollendete Tatsachen gestellt) kaum vor neuen Systemen zurück. Vielleicht auch weil wir gelernt haben, dass wir am Ende keine Wahl haben. Wer alle paar Jahre wieder mit einer neuen Bibliothekssoftware konfrontiert wird, die von irgendeinem wenig fachlich, aber dafür umso mehr finanziell interessierten ausländischen Softwareanbieter aus dem Boden programmiert wurde, der wird reichlich stabil in Sachen Frustrationstoleranz.

The medium is the message

Der Vorteil an Videotelefonie am Laptop ist, dass man dabei in aller Regel die Hände frei hat, um zum Beispiel zu tippen oder zu telefonieren. Das ermöglicht seltsame kommunikative Totalerlebnisse, die die Verschränkung der verschiedenen Kanäle auf neue Extreme treiben: Den Vogel schoß eine Kollegin ab, die mit ihrem Handy mit einer dritten Person telefonierte, und davon in die bestehende Videokonferenz hineinberichtete, also WÄHREND wir gleichzeitig miteinander skypten. Generation second screen? Way ahead of you!

Und so wurden auch bei uns tapfer neue Software-Welten beschritten, es wurde mit Headsets gekämpft und Kabelsalat gebändigt, mehr als einmal kam es zu schweren Kaffeetassenunfällen. Gelegentlich verschwindet auch einmal ein Kollege wortlos aus der Runde, es wird dann angenommen, dass er sich Wichtigerem widmen musste, vielleicht war eines der Kinder gestolpert, oder es hat an der Haustüre geklingelt weil ein Lieferant kam, oder die Internetverbindung ist einfach weggebrochen.

Aber die Krise hat uns gelehrt: Das Leben geht weiter.

 

 

Grippemittel in alten Zeitungen- ANNO 1918

*Beipackzettel. Die Bibliothekarin empfiehlt: Stecken Sie nichts in Ihre Nase, was da nicht hingehört. Und versuchen Sie auch sonst Gelassenheit zu bewahren.

Das Forman-Nasenglas! Bei rechtzeitiger Anwendung fast unfehlbar

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Werbung vergangener Zeiten

Die Angst vor Ansteckung mit unangenehmen oder auch gefährlichen Krankheiten hat die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt. In alten Zeitungsannoncen in ANNO und der Plakatsammlung der Wienbibliothek kann man bestens nachvollziehen, wie sich die Arzneimittelwirtschaft über die Jahrhunderte entwickelt hat, in welche Grippemittel große Hoffnungen gesetzt wurden und welche eher unseriösen Methoden am Markt angepriesen wurden.. 

LYSOL – Wirkt immer!

Desinfektionsmittel gab es damals schon, und das Wissen um die Wichtigkeit von sterilem Material in der Wundpflege war zur Zeit der spanischen Grippe schon hinreichend verbreitet. Hier war auch lizenzrechtlich beachtlich, dass Desinfektionsmittel nicht von jedermann hergestellt und vertrieben werden durften, was in der gesamten Monarchie streng konrolliert wurde. In einer Anzeige unten etwa heißt es auch „Die Einfuhr von Lysol aus dem Auslande ist unstatthaft.“

Bildschirmfoto 2020-03-14 um 22.01.59Pharmaceutische Post 1920

Bittere Medizin 

Ein wirksames Gegenmittel gegen die spanische Grippe und die ebenfalls verbreiteten Influenza-Epidemien war leider nicht vorhanden, die erste richtige Grippeimpfung wurde erst 1936 eingeführt. Der Schwerpunkt lag daher auf Fiebersenkung und Entzündungshemmung, wobei die bereits entdeckte Acetylsalicylsäure und ein Präparat namens Pyramidon zum Einsatz kamen.
Außerdem war speziell im Militär Chinin das Mittel der Wahl.

Bildschirmfoto 2020-03-14 um 22.02.56Bildschirmfoto 2020-03-14 um 22.01.22Pharmazeutische Presse 1917

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„Ist es Angst vor der Grippe, oder hustest du sehr: Dann trinke den Kräuter-Syrup Likör!“

Ein Hauptaugenmerk der Zeit lag nicht nur bei Kinderarzneien auf dem schwierigen Akt des Genießbarmachens, da man die oft bitteren Arzneistoffe in eine oral verträgliche Form bringen musste, etwa in Form von Pastillen mit viel Zucker, Sirupen oder Ähnlichem.
Untenstehend sucht nebenbei auch ein Verlagsdirektor eine ehrbare Bekanntschaft..

Zerschlagene Hoffnungen

Viele Wirkstoffe die hoffnungsvoll zum Einsatz kamen, erwiesen sich im eigentlichen Anwendungsgebiet leider als wirkungslos. Präparate wie Sublimat, Malafebrin oder das oben in der Anzeige aufgeführte Vioform wurden in den pharmazeutischen Zeitschriften wie wild beworben, zeigten gegen die spanische Grippe aber keinen Erfolg.

Große Hoffnung setzte man auch in ein Chemotherapeutikum namens Salvarsan (unten eine Anzeige aus einem Film über die Entstehung des von Paul Ehrlich entwickelten Medikaments), das letztlich in der Syphilis-Therapie erfolgreich wurde, aber starke Nebenwirkungen hatte und in der Therapie der Grippe-Erkrankungen nichts brachte.

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Scharlatanerie und Hokuspokus

Abseits von den getesteten Mitteln (es gab auch damals schon strenge Zulassungsverfahren) kursierten natürlich zahlreiche abergläubische und vulgärmedizinische Vorstellungen und Mittelchen zum Hausgebrauch: Unter anderem wurden spezielle Grippestaubsauger angeboten, die den Virus einsaugen sollten, diverse Balsame, Seifenlösungen und Brachialtherapien, die wohl eine aggressive Körperhygiene schufen, bei bereits Erkrankten aber oft mehr Schaden als Nutzen anrichten konnten.

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Oben: Der Bartwuchs-Balsam für den klassischen Kaiser Franz Josef Bart. Nicht gegen Grippe wirksam, aber stilvoll.
Unten: Pharmazeutische Stellengesuche.

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ANACOT schützt vor Grippe! im Kino, im Theater, in der Straßenbahn!

Neben den Zeitschriftenbeständen der österreichischen Nationalbibliothek in ANNO gibt es eine weitere spannenden digitale Quelle für alte Werbeanzeigen, Plakate und Flugschriften: Die Wien Bibliothek im Rathaus mit ihren digitalisierten Sammlungen. Auch hier kann man köstlich in jüngeren Werbeanzeigen stöbern, und erhält einen guten Eindruck vom jeweiligen Geist der Zeit. Man sieht: Die Angst sich anzustecken war zu allen Zeiten ein Thema..

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Originalquelle: Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus
Hohes C – jetzt lauert die Grippe

in ANNO, dem Zeitungsportal der österreichischen Nationalbibliothek:

Die Internationale klinische Rundschau
Die Pharmaceutische Post
Die Drogisten-Zeitung
Anzeigenband zu Zeitschrift des allgemeinen österreichischen Apothekerverbandes 

 

 

 

 

Epidemien in Bild und Text – ANNO dazumal

Die Bibliothekarin hat sich im Bild- und Zeitungsarchiv der Nationalbibliothek und der Wienbibliothek zu bildlichen Darstellungen der Grippe umgesehen.

Pest in Florenz
Aufführung (Film), Die Pest in Florenz

Pest in Florenz

Filmplakate „Pest in Florenz“, Austria Bildarchiv, Lithographie 1919

In den digitalen Zeitungsbeständen der Nationalbibliothek kann man sehr gut zu älteren Epidemien recherchieren. Die bekanntesten, die wohl auch unserer Generation noch ansatzweise etwas sagen waren die spanische Grippe und die Pest.

Das (Neuigkeits) Welt Blatt schreibt am 6. Oktober 1918 vom tückischen Charakter der neuen Grippe: „Immer weitere Kreise beschäftigen sich mit der unheimlichen Krankheit, die unter dem Namen spanische Grippe nun seit Monaten stets mehr an Ausbreitung gewinnt. Man kennt die Art der Krankheit noch nicht näher, nicht woher sie stammt und wodurch sie entsteht. In Italien und in der Schweiz wird sie der „schwarze Tod“ genannt und also so bezeichnet, wie seinerzeit die Pest..“

Apropos Pest. Hier ein Bild der Pest in Wien. 
Die große Pest in Wien im Jahre 1349
Die große Pest in Wien im Jahre 1349, Austria Bild-Archiv, Federzeichnung zw. 1826 – 1832

Besonders gefürchtet war die spanische Grippe, weil sie in mehreren Wellen ausbrach und vor allem bei jungen Männern schwer und tödlich verlief.
Die spanische Grippe ist sicher wesentlich vor dem Geschehen des Ersten Weltkriegs zu sehen, und so ist ein Gutteil der Todesfälle auch auf die allgemein schlechte Versorgungslage und hygienische Missstände in den militärischen Unterkünften zurückzuführen: Die Truppen waren geschwächt und die Menschen insgesamt unterernährt und angegriffen.
In den bildlichen Darstellungen findet man die spanische Grippe als Skelett oder Todesengel, der die Kriegsgebiete mit einem Besen kehrt, etwa in der Satirezeitschrift KIKERIKI vom 27. Oktober 1918. Dort findet sich auch folgender (wohl satirischer) Anschlag über die Schließung des Gesundheitsamtes:

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In der Neuen Zeitung vom 23. Oktober 1918 findet man eine interessante Abbildung zum damaligen Krankentransport:

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Ein an Grippe erkranktes Kind wird von der städtischen Sanitätsmannschaft ins Krankenhaus geführt. Das Kind sieht ein bisschen aus wie eine Miniatur von Kaiserin Sissi, und auch die Proportionen wirken etwas gruselig. Aber die Darstellung ist durchaus eindrucksvoll.

Das Terminologie-Problem mit der Grippe

Das Terminologie-Problem mit der Grippe und der Verwechslung mit banaleren Erkältungen war übrigens auch vor gut 100 Jahren schon ein Thema. So schreibt die Österreichische Alpine Volks- und Gebirgs-Trachten-Zeitung vom 1. September 1929:
„Man hat sich heutzutage angewöhnt, jede leichte „Erkältung“ als Grippe anzusprechen. (..) Führt das dazu, jeden Schnupfen als „Grippe“ ernstzunehmen, so ist das nicht schlimm: Denn Vorsicht schadet nicht. Aber man hüte sich vor dem umgekehrten Verhalten: indem man jeden Schnupfen für eine Grippe hält, schließlich der Suggestion zu erliegen, die Gripper sei eine so harmlose Sache wie ein Schnupfen. Sie ist in schwerster Form eines der gefährlichsten leiden, gefährlich wie die Pest..“
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Weitere interessante Berichte:

Spanische Grippe – Eine Pandemie wütet in Tirol

Als die Spanische Grippe die Schweiz heimsuchte

 

 

 

 

 

Beethovens Unvollendete (Erg.Lfg.42) – Über den Charakter der Loseblattsammlung und andere biblische Plagen

 

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„Siehe, ich sende sie wie Schafe unter euch.“ Die wenig bekannte biblische Plage 10a: Publikation von Loseblattsammlungen

Am sechsten Tag schuf Gott mehrere Großkommentare, Zeitschriften und einheitliche Zitierregeln für den Hochschulraum. Am siebten Tag ruhte Gott, denn sie war sehr müde. Aber da die Bibliothekare und Juristen vom Baum der Erkenntnis(se) genascht hatten, zürnte Gott ihnen, und wollte sie bestrafen. Da die Heuschrecken, Frösche und Sintfluten gerade aus waren, musste Gott sich etwas anderes einfallen lassen.

Am achten Tag schuf Gott die Loseblattsammlungen.

Im Anfang war das Wort

Dieser Tage gab es auf Twitter einen heiteren Diskurs über den Ursprung der Loseblattsammlung, der speziell von einigen Verfassungsrechtlern befeuert wurde und schließlich sogar in Literaturzitaten über die Loseblattsammlung eskalierte.
Philosophiert wurde über die ersten Loseblattsammlungen und das psychologische Profil ihrer Erschaffer, Bezüge zu Rechtsgebieten wurden angeführt, und die Frage bedient, ob der leicht zwänglerische Charakter dieser Publikationsform eher der Schweiz oder den fleissigen Vorarlbergern zuzuschreiben sei.

Studierende wissen trotz regelmäßigen leidvollen Kontakts leider kaum mehr etwas mit dem Begriff anzufangen, deswegen sollte das Spiel „Loseblattsammlung“ kurz erklärt werden: Loseblattsammlungen sind Mappen, in die nach einem regelmäßigen und undurschaubaren Rhythmus Blätterkonvolute in Form von Ergänzungslieferungen eingelegt werden, um das Werk aktuell zu halten.

Ursprünglich war das eine durchaus verbreitete Mediensorte, die das großangelegte Neudrucken ganzer Werke bei nur geringfügigen Änderungen ersparen sollte. Warum sich das ausgerechnet in den Rechtswissenschaften solange gehalten hat, ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Wir unterstellen hier einmal pure Boshaftigkeit der Verlage und Herausgeber.

Ein neues Spiel, ein neues Glück – da ist für alle was dabei!

„Loseblattsammlung“ spielt man jetzt so: Alle paar Wochen oder Monate, je nach aktueller Rechtsprechung, Lust und Laune der Verlage und dem Stand des Mondes und der Gestirne trifft ein neuer Packen Blätter ein, der in die Loseblattsammlung einzulegen ist. Dies hat an genau vorgeschriebenen Stellen zu erfolgen, die in einer Art Gebrauchsanweisung im IKEA Stil aufgeführt sind: Entnehmen Sie also nun Blatt 2b und ergänzen Sie an der Stelle die Teile 38a und 95b. Hier fängt das Drama schon an sich erheblich zuzuspitzen, denn Blatt 2b ist natürlich schon lange nicht mehr vorhanden, und muss insoferne auch nicht entnommen werden, und die Teile 38a und 95b sind in der Ergänzungslieferung nicht zu finden, falls sie denn überhaupt jemals existiert haben.  Die feierliche Einlegung der neuen Ergänzungslieferung muss protokolarisch in dem nur in seltenen Glücksfällen vorhandenen „Standblatt“ am Anfang eines jeden Ordners eingetragen werden, damit nachfolgende Generationen wissen, was hier alles NICHT, VIELLEICHT oder auch TEILWEISE ergänzt wurde. Fertig ist man jedenfalls dann, wenn selbst für absolute Kenner der Materie nicht mehr zu begreifen ist, was das Werk nun eigentlich enthält. Irgendwann ist die Mappe schlicht nicht mehr pflegbar und das System ist irreparabel beschädigt, man sagt „Die Loseblattsammlung ist korrupt geworden!“.

Nun beginnt eine Art kalter Krieg zwischen Buchhändler und Bibliothek, bei dem meist von vornherein klar ist, wer gewinnen wird. Der Verlag sendet neue Ergänzungslieferungen aus, die Bibliothek ignoriert diese, da sie in dem aktuellen Werk ohnehin nicht mehr eingeordnet werden können. Aus Anstandsgründen und Trotz wartet man noch ein paar Monate zu, bis irgendjemand (meist die Bibliothek) bei dem Spiel die Nerven verliert, und ein neues Grundwerk bestellt wird (das man gerne zahlt, um wieder einige Nächte ruhig schlafen zu können). Zu diesem Zeitpunkt sind alle Betroffenen psychisch so zerrüttet, dass sie auch einen Lottogewinn ausgeben würden, um endlich Ruhe zu haben. Bis das Spiel von vorne losgeht.


Wenig erstaunlicherweise finden sich die Ursprünge dieser Foltermethode in jenem Rechtsgebiet wo alles Unheil der Menschheit verborgen liegt, im Steuerrecht. Man muss auch nicht erst extra erwähnen, dass dieses System für den Gebrauch im Publikumsverkehr an Bibliotheken denkbar ungeeignet ist..

Fällt der Ordner nämlich zu Boden (hoffentlich nur im geschlossenem Zustand), so verbiegt sich, zumindest bei „schwerwiegenden“ Loseblattsammlungen die Mechanik oft irreparabel, lässt sich also zB nicht mehr richtig schließen. Das merkt aber ohnehin erst der nächste Benutzer oder die nächste Benutzerin, wenn er oder sie das Werk hastig aus dem Regal zieht, den physikalischen Überblick über das halb offenstehende Loseblattwerk verliert, und nach kurzem, kaum hörbaren Fluchen (…) ein paar Seiten unterschiedlicher Gesetze vom Boden aufkratzt, und nun wirklich nicht auch noch die Zeit – und natürlich auch null Bock hat das Geblatt in der Hand so zu sortieren, wie es dem Herausgeber des Werkes gefiele. Von wegen! Für so etwas gibt es Bibliothekspersonal.
Martin Vonplon, Lose-Blattsammlungen. In: Recht, Bibliothek, Dokumentation, 25 (1995), H. 3, S. 135-141

Der Spaß bei Loseblattsammlungen muss in ihrem Glücksspielcharakter erkannt werden, man hat hier wie im Zivilrecht ein aleatorisches Moment. Nie kann man genau wissen, was darin ist, das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen!

Die Pathologie der Loseblattsammlung

Die Bibliothek Recht hostet aktuelle viele Hunderte von Loseblattsammlungen, und in einem Hinterzimmer lagern stets Stapel von Ergänzungslieferungen. Wir haben ein eigenes Fach auf dem „Problemfälle“ steht, und dieses ist immer gut gefüllt.

Unglücklicherweise kommen in Österreich die beiden großen Kommentare zum Bundesverfassungsrecht ausschließlich in Loseblattform auf den Markt, was einen gewissermaßen betroffen macht:

Regelmäßig kommen Studierende an den Schalter, die im BVG eine Kommentierung vermissen, und man hat dann oft seine liebe Not herauszufinden, ob das der Wahrheit entspricht, oder der betreffende Artikel einfach noch nicht kommentiert wurde. Hier gilt vorderhand, wie in jedem pathologischen Fall der gute alte Schaltersatz: Nehmen Sie den Patienten ernst. Aber lassen Sie sich nicht auf Diskussionen über den Wahrheitsgehalt seiner Aussage ein. 

Die Liechtensteiner haben aus diesem Grund ein segensreiches Werk getan, und ihren Verfassungsrecht Kommentar in einer Art Open Access Variante ins Netz gestellt.

Loseblattsammlungen sind oft nur die Einstiegsdroge zu härteren Suchtmitteln – Fangen Sie gar nicht erst an!

Natürlich tut die Bibliothek ihr Möglichstes, um Loseblattsammlungen möglichst fern zu halten: Verlagskataloge werden mit einem dicken Durchgestrichen und „Ankauf verweigert aufgrund Loseblattforms!“ in Umlauf gebracht, mit einem kecken „online verfügbar“ und Häkchen versehen, oder überhaupt gleich eingezogen und makuliert. Als Bibliothek fühlen wir uns durchaus verpflichtet unsere Forscher vor diesen gefährlichen Suchtmitteln zu schützen. Leider hat das wissenschaftliche Personal hier auch ein Wörtchen mitzureden, und was das Herz der Wissenschaft begehrt, wer wären wir es zu verwehren? Das Ganze ist schon schlimm genug, wenn es sich in der Bibliothek abspielt. Manche Lehrstühle horten aber in Ihren Handapparaten zusätzliche, besonders geliebte Haus- und Hof-Loseblattsammlungen. Nun würde man glauben, dass diese Werke dort einigermaßen geschützt und besser pflegbar wären. Leider passiert es aber auch in Handapparaten, dass Loseblattsammlungen verwildern, und zur Aufzucht und Pflege in die Bibliothek retourniert werden, meist vor den Sommerferien.

Einzig nach langem Kampf eingestellt werden durfte der vielleicht schlimmste Fall einer Loseblattsammlung, das Niederösterreichische Landesrecht. Diese Mappen kommen mit eigenen ARCHIVMAPPEN, in die das entnommene Material jeweils ein- und umzulegen ist, weshalb ein Bibliothekar aus dem Haus sie völlig zu Recht als „EXTREMLoseblattsammlung“ bezeichnet hat. Angesichts dieses Blätterhaufens können auch wir nur mit Musils Mann ohne Eigenschaften sagen:
Hier stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht!

Vor langer Zeit habe ich eine Streitschrift wider die Loseblattsammlung begonnen. Da als Fortsetzung gedacht, hat sie das Schicksal vieler Loseblätter ereilt, sie musste vorerst unvollendet bleiben..Lesen Sie an dieser Stelle stattdessen die Einlageblätter 8a bis z.

Einlageblätter 8a bis z

Streitschrift wider die Loseblattsammlung

EU verbietet Loseblattsammlungen – Beschluss zum 1. April

Verwahrloste Loseblattsammlungen an Raststätten ausgesetzt

Heimatlose Blätter suchen ein Zuhause

 

 

 

Dreharbeiten!

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Bibliotheken sind beliebte Drehorte, und Forscher aller Disziplinen werden immer noch gerne vor gefüllten Bücherregalen inszeniert. Die Bibliothek strahlt in digitalen Zeiten  einen gewissen Nimbus aus, der besonders für Fotografen eine unwiderstehliche Anziehungskraft hat: Wie Motten ans Licht streben sie in die Bibliothek, altehrwürdige Paläste des Wissens sollen dem geneigten Zuseher vermitteln, dass es hier um seriöse Wissenschaft geht! Die Bibliothekarinnen indessen kichern hinter den Kulissen, versuchen, besorgt um die Persönlichkeitsrechte ihrer Nutzer, Studierende da und dort rechtzeitig aus dem Bild zu schieben, und ringen verzweifelt die Hände über die verlangten respräsentativen Bestände, die oft schlicht nicht zu besorgen sind..

Showaufstellung

Im Leben jeder Bibliothekarin gibt es so ein, zwei schräge Nutzeranfragen, die so seltsam daherkommen, dass man sie nie wieder vergisst. Auch ich hatte einen solchen Schlüsselmoment, einige davon um genau zu sein. Das besagte Erlebnis erklärt aber so Einiges über die Welt des Analogen und des Digitalen, weswegen ich hier kurz davon erzählen muss:

Eines schönen Tages wurde ich zur Mittagszeit mehr oder weniger campusweit ausgerufen. Ich sollte sofort zum Schalter kommen, es sei dringend, ein bibliothekarischer Notfall, quasi. Ich packte sofort meine schweinslederne Bibliothekarstasche, schaltete das Blaulicht an und eilte zum Unfallort.
Vor Ort traf ich eine recht aufgelöste Sekretariatsfachkraft (ob männlich oder weiblich spielt hier wirklich keine Rolle), und nach einigem beruhigenden Einwirken hatte sich die arme Seele soweit gefasst, dass sie ihr Anliegen konkretisieren konnte. Sie holte tief Luft und stieß ein einziges Wort hervor: „Geschäftsberichte!“

Nun gut, wir sind eine Wirtschaftsuni, das Anliegen alleine fand ich also noch nicht so ungewöhnlich. Überraschend fiel aber die Antwort auf unser bemühtes Nachfragen aus, um welchen Geschäftsbericht es sich denn handele, der da so dringend gesucht wurde? Die Antwort lautete: „Das ist ganz egal, es müssen nur Geschäftsberichte sein!“

„Naja“, wollte ich gerade ansetzen, „wir haben da ein paar Business Datenbanken..“ und wurde sofort unterbrochen: „Nein, sie müssen gedruckt sein! Und es sollte außen groß drauf stehen: Geschäftsbericht!“

Dieser Satz führte uns letztlich auf die richtige Spur, und der Rest ist schnell erzählt: Eine Wissenschaftlerin des Hauses hatte über Jahresabschlüsse großer Wirtschaftsunternehmen geforscht und dazu veröffentlicht. Nun hatte diese Forscherin dazu zweifellos in Onlinequellen recherchiert. Nicht ohne Grund geben wir jährlich Unsummen für genau diese Art von Wirtschaftsdaten aus, und die Volltextanalyse in Datenbanken ist dem menschlichen Auge an Geschwindigkeit doch weit überlegen. Der Fotograf, der für das Verlagsfoto angerückt war, wollte die Autorin allerdings umgeben von leicht verständlichen Symbolen ihrer Tätigkeit ablichten, sie sollte gedankenverloren in einem Geschäftsbericht blättern und stirnrunzelnd Unternehmensbilanzen wälzen, und wenn schon nicht das, dann sollten sich doch zumindest auf ihrem Schreibtisch die papiernen Zeugen ihrer Tätigkeit türmen!

Im Endeffekt konnte (wie so oft) geholfen werden: Wir fanden im Magazin ein paar ältere Geschäftsberichte von Post und Bahn, die zumindest für ein überzeugendes Arrangement völlig ausreichend schienen..

„Verhalten Sie sich ganz natürlich!“ – Wissenswelten im Bild

Auch in unserer Bibliothek wird oft fotografiert und gefilmt. Forscher und Forscherinnen aus dem Haus wollen für ein aktuelles Foto einen attraktiven Hintergrund, oder sollen im Fernsehen kurz über ein neues OGH Urteil sprechen, den Arbeitsmarkt analysieren oder eine politische Debatte kommentieren.

Das ist übrigens auch der Grund, warum man mit mir nicht ZIB2 schauen kann: Es ist ein bisschen wie mit den Köchen, die nicht auswärts essen gehen. In Nachrichtensendungen gibt es immer Experten, und diese Experten werden in der Regel vor einem Bücherregal interviewt. Woher, liebe Leute, soll der kundige Bürger denn auch sonst erkennen, dass es sich wirklich um einen Experten handelt? Das Bücherregal muss auch nicht zwangsläufig das eigene sein, im Notfall stellt man die Leute in das Büro eines Kollegen, oder einfach in irgendeine Bibliothek.

Ebooks sind nicht sexy

Wir Bibliothekare lassen solche Eingriffe in unseren geschützten Bücherwald normalerweise gnädig zu, auch wenn wir dabei oft mit den Zähnen knirschen: Der Fotograf  hat natürlich NICHT um Genehmigung angesucht, er versteht sich als echter KÜNSTLER,  die kleingeistige Beschränkung einer Betriebsordnung ficht ihn nicht an. Stattdessen steht er mit einer lauten und sonnenbrillentragenden Entourage von Equipment-Trägern plötzlich mitten in der Bibliothek, und arbeitet auch keineswegs „nur ganz kurz und geräuschlos“. Wegen des dringend benötigten Tageslichts kann auf den ungestörten Bibliotheksbetrieb natürlich keine Rücksicht genommen werden, und so haben auch die erstaunten Nutzer etwas vom Blitzlichtgewitter.

Schon oft haben wir gerätselt, ob wir für solche Zwecke einen eigenen Attrappen-Bestand anlegen sollten, der nur zu Fotozwecken in einer gut geschützten Ecke parkt.

Juristen sieht man normalerweise in ihrem natürlichen Habitat, dem Handapparat, den sie, gottlob, auch tatsächlich haben. Nachrichten schauen heißt für mich in diesem Sinne immer: Bücherregal schauen! Wenn die verstörenden Bilder dann über den abendlichen Bildschirm flimmern, hält mich nichts mehr auf meinem Sessel, ich bin schlimmer als der schlimmste Fußballkommentator: „Meine Güte, haben die eine Unordnung im Regal!“, rufe ich zuweilen empört in das Interview hinein, dann wieder bemerke ich anerkennend „Oh, ein kompletter Staudinger!“ Manchmal murmele ich auch nur Unverständliches: „Die 3. Auflage, soso.. ah vergriffen..“, oder stelle verwundert fest: „Die ham das GEBUNDEN?!“. Und es mag auch schon vorgekommen sein, dass ich nachts aus dem Schlaf hochfuhr und erinnernd tobte: „Der hat noch ein Lesesaalexemplar von uns!“.

Die juristische Bibliothek ist an modernen Unis der Ort, wo man zuverlässig noch „echte Bücher“ vorzufinden erhofft, weshalb wir auch oft in den Genuss von Touristengruppen und Gästeführungen gelangen. Die Leute lassen sich zunächst im sogenannten Library and Learning Center den kalten Sog moderner Architektur zur Genüge um die Nase wehen, und kommen dann zu uns, um sich am heimeligen Anblick der guten alten Bücherbibliothek zu wärmen. Bei uns erwarten sie sich Eichenholz und vertäfelte Regale, und nehmen die bunte Kinderschwimmbad-Optik, die uns umgibt, sichtlich enttäuscht zur Kenntnis.
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„Lassen Sie mich durch, in bin Bibliothekar!“

Auch bibliothekarische Fotoprojekte haben uns bereits in Szene gesetzt, typische Arbeitsszenen aus dem Alltag der Bibliothek sollten dabei gezeigt werden. Auf den besser geratenen Aufnahmen davon sehe ich aus wie einer Arztserie entsprungen, und auch wenn wir nicht am offenen Herzen operieren, so schmeichelt uns diese Vorstellung doch ein wenig.

Am Ende wollte die Fotografin, dass ich auf eine Leiter steige, um ein Buch aus dem Regal zu nehmen. Sie hatte bei aller Pragmatik auf das Vorhandensein einer guten alten Holzleiter gehofft, um dem kühlen Eindruck der Metallregale ein wenig altertümlichen Charme entgegenzuhalten.

Enttäuschend genug: Wir haben gar keine Leiter.

Fotos: Iryna Yeroshko