Dreharbeiten!

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Bibliotheken sind beliebte Drehorte, und Forscher aller Disziplinen werden immer noch gerne vor gefüllten Bücherregalen inszeniert. Die Bibliothek strahlt in digitalen Zeiten  einen gewissen Nimbus aus, der besonders für Fotografen eine unwiderstehliche Anziehungskraft hat: Wie Motten ans Licht streben sie in die Bibliothek, altehrwürdige Paläste des Wissens sollen dem geneigten Zuseher vermitteln, dass es hier um seriöse Wissenschaft geht! Die Bibliothekarinnen indessen kichern hinter den Kulissen, versuchen, besorgt um die Persönlichkeitsrechte ihrer Nutzer, Studierende da und dort rechtzeitig aus dem Bild zu schieben, und ringen verzweifelt die Hände über die verlangten respräsentativen Bestände, die oft schlicht nicht zu besorgen sind..

Showaufstellung

Im Leben jeder Bibliothekarin gibt es so ein, zwei schräge Nutzeranfragen, die so seltsam daherkommen, dass man sie nie wieder vergisst. Auch ich hatte einen solchen Schlüsselmoment, einige davon um genau zu sein. Das besagte Erlebnis erklärt aber so Einiges über die Welt des Analogen und des Digitalen, weswegen ich hier kurz davon erzählen muss:

Eines schönen Tages wurde ich zur Mittagszeit mehr oder weniger campusweit ausgerufen. Ich sollte sofort zum Schalter kommen, es sei dringend, ein bibliothekarischer Notfall, quasi. Ich packte sofort meine schweinslederne Bibliothekarstasche, schaltete das Blaulicht an und eilte zum Unfallort.
Vor Ort traf ich eine recht aufgelöste Sekretariatsfachkraft (ob männlich oder weiblich spielt hier wirklich keine Rolle), und nach einigem beruhigenden Einwirken hatte sich die arme Seele soweit gefasst, dass sie ihr Anliegen konkretisieren konnte. Sie holte tief Luft und stieß ein einziges Wort hervor: „Geschäftsberichte!“

Nun gut, wir sind eine Wirtschaftsuni, das Anliegen alleine fand ich also noch nicht so ungewöhnlich. Überraschend fiel aber die Antwort auf unser bemühtes Nachfragen aus, um welchen Geschäftsbericht es sich denn handele, der da so dringend gesucht wurde? Die Antwort lautete: „Das ist ganz egal, es müssen nur Geschäftsberichte sein!“

„Naja“, wollte ich gerade ansetzen, „wir haben da ein paar Business Datenbanken..“ und wurde sofort unterbrochen: „Nein, sie müssen gedruckt sein! Und es sollte außen groß drauf stehen: Geschäftsbericht!“

Dieser Satz führte uns letztlich auf die richtige Spur, und der Rest ist schnell erzählt: Eine Wissenschaftlerin des Hauses hatte über Jahresabschlüsse großer Wirtschaftsunternehmen geforscht und dazu veröffentlicht. Nun hatte diese Forscherin dazu zweifellos in Onlinequellen recherchiert. Nicht ohne Grund geben wir jährlich Unsummen für genau diese Art von Wirtschaftsdaten aus, und die Volltextanalyse in Datenbanken ist dem menschlichen Auge an Geschwindigkeit doch weit überlegen. Der Fotograf, der für das Verlagsfoto angerückt war, wollte die Autorin allerdings umgeben von leicht verständlichen Symbolen ihrer Tätigkeit ablichten, sie sollte gedankenverloren in einem Geschäftsbericht blättern und stirnrunzelnd Unternehmensbilanzen wälzen, und wenn schon nicht das, dann sollten sich doch zumindest auf ihrem Schreibtisch die papiernen Zeugen ihrer Tätigkeit türmen!

Im Endeffekt konnte (wie so oft) geholfen werden: Wir fanden im Magazin ein paar ältere Geschäftsberichte von Post und Bahn, die zumindest für ein überzeugendes Arrangement völlig ausreichend schienen..

„Verhalten Sie sich ganz natürlich!“ – Wissenswelten im Bild

Auch in unserer Bibliothek wird oft fotografiert und gefilmt. Forscher und Forscherinnen aus dem Haus wollen für ein aktuelles Foto einen attraktiven Hintergrund, oder sollen im Fernsehen kurz über ein neues OGH Urteil sprechen, den Arbeitsmarkt analysieren oder eine politische Debatte kommentieren.

Das ist übrigens auch der Grund, warum man mit mir nicht ZIB2 schauen kann: Es ist ein bisschen wie mit den Köchen, die nicht auswärts essen gehen. In Nachrichtensendungen gibt es immer Experten, und diese Experten werden in der Regel vor einem Bücherregal interviewt. Woher, liebe Leute, soll der kundige Bürger denn auch sonst erkennen, dass es sich wirklich um einen Experten handelt? Das Bücherregal muss auch nicht zwangsläufig das eigene sein, im Notfall stellt man die Leute in das Büro eines Kollegen, oder einfach in irgendeine Bibliothek.

Ebooks sind nicht sexy

Wir Bibliothekare lassen solche Eingriffe in unseren geschützten Bücherwald normalerweise gnädig zu, auch wenn wir dabei oft mit den Zähnen knirschen: Der Fotograf  hat natürlich NICHT um Genehmigung angesucht, er versteht sich als echter KÜNSTLER,  die kleingeistige Beschränkung einer Betriebsordnung ficht ihn nicht an. Stattdessen steht er mit einer lauten und sonnenbrillentragenden Entourage von Equipment-Trägern plötzlich mitten in der Bibliothek, und arbeitet auch keineswegs „nur ganz kurz und geräuschlos“. Wegen des dringend benötigten Tageslichts kann auf den ungestörten Bibliotheksbetrieb natürlich keine Rücksicht genommen werden, und so haben auch die erstaunten Nutzer etwas vom Blitzlichtgewitter.

Schon oft haben wir gerätselt, ob wir für solche Zwecke einen eigenen Attrappen-Bestand anlegen sollten, der nur zu Fotozwecken in einer gut geschützten Ecke parkt.

Juristen sieht man normalerweise in ihrem natürlichen Habitat, dem Handapparat, den sie, gottlob, auch tatsächlich haben. Nachrichten schauen heißt für mich in diesem Sinne immer: Bücherregal schauen! Wenn die verstörenden Bilder dann über den abendlichen Bildschirm flimmern, hält mich nichts mehr auf meinem Sessel, ich bin schlimmer als der schlimmste Fußballkommentator: „Meine Güte, haben die eine Unordnung im Regal!“, rufe ich zuweilen empört in das Interview hinein, dann wieder bemerke ich anerkennend „Oh, ein kompletter Staudinger!“ Manchmal murmele ich auch nur Unverständliches: „Die 3. Auflage, soso.. ah vergriffen..“, oder stelle verwundert fest: „Die ham das GEBUNDEN?!“. Und es mag auch schon vorgekommen sein, dass ich nachts aus dem Schlaf hochfuhr und erinnernd tobte: „Der hat noch ein Lesesaalexemplar von uns!“.

Die juristische Bibliothek ist an modernen Unis der Ort, wo man zuverlässig noch „echte Bücher“ vorzufinden erhofft, weshalb wir auch oft in den Genuss von Touristengruppen und Gästeführungen gelangen. Die Leute lassen sich zunächst im sogenannten Library and Learning Center den kalten Sog moderner Architektur zur Genüge um die Nase wehen, und kommen dann zu uns, um sich am heimeligen Anblick der guten alten Bücherbibliothek zu wärmen. Bei uns erwarten sie sich Eichenholz und vertäfelte Regale, und nehmen die bunte Kinderschwimmbad-Optik, die uns umgibt, sichtlich enttäuscht zur Kenntnis.
praxis

„Lassen Sie mich durch, in bin Bibliothekar!“

Auch bibliothekarische Fotoprojekte haben uns bereits in Szene gesetzt, typische Arbeitsszenen aus dem Alltag der Bibliothek sollten dabei gezeigt werden. Auf den besser geratenen Aufnahmen davon sehe ich aus wie einer Arztserie entsprungen, und auch wenn wir nicht am offenen Herzen operieren, so schmeichelt uns diese Vorstellung doch ein wenig.

Am Ende wollte die Fotografin, dass ich auf eine Leiter steige, um ein Buch aus dem Regal zu nehmen. Sie hatte bei aller Pragmatik auf das Vorhandensein einer guten alten Holzleiter gehofft, um dem kühlen Eindruck der Metallregale ein wenig altertümlichen Charme entgegenzuhalten.

Enttäuschend genug: Wir haben gar keine Leiter.

Fotos: Iryna Yeroshko