
Im Falle eines Falles
„Wirft daher ein in der Wohnung befindlicher Affe die Hauskatze zum Fenster hinaus, so haftet der Wohnungsinhaber.“
Dieser Satz steht so in einem über lange Zeit sehr berühmt gewordenen Zivilrechtslehrbuch Österreichs, es ist der zweibändige Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts [II13 (2007) 366], der mittlerweile in der zigsten Auflage erscheint und unter Studierenden liebevoll (und qualvoll) als „KW“ bezeichnet wird.
Im Jus-Studium gilt es recht früh schon zu lernen, wie man Fälle löst. Genau genommen ist es (so wird immer gesagt) zur Praxisvorbereitung das UM und AUF, und so treffen sie unweigerlich aufeinander: Der Studierende, der Fall und die Fallsammlung.
Anhand des Affen-Zitats konnte man früher übrigens gut erkennen, wie weit Studierende schon in die Absurditäten des Zivilrechts vorgedrungen sind: Erntete man ein wissendes Lachen, wusste man, dass die berühmte „Affenstelle“ bereits passiert wurde. Sie ist bis heute so eine Art Insider-Schmäh unter Studenten. Ob es in Deutschland Ähnliches gibt?
Während man in Deutschland etwas pflegt, was sich Gutachterstil nennt (worüber Studierende gerne fluchen), wird in Österreich nach Anspruchsgrundlagen geprüft (worüber Studierende gerne fluchen). Zu einem Zeitpunkt, wo das Jammern über das Prüfen nach Anspruchsgrundlagen beginnt, sind die Meisten in die Materie schon relativ gut hineingekommen, und erkennen bereits die vielen kleinen Gemeinheiten und Obskuritäten, aber auch die Schönheiten dieses Faches, das ein bekannter Lehrender der hiesigen Anstalt einmal als „Einziges Rechtsgebiet für Erwachsene“ beschrieb.
Auch andere Mütter haben schöne Zivilrechtslehrbüchertöchter und -söhne
Ich sage früher, weil sich am Zivilrechtsbuchmarkt natürlich mittlerweile einiges getan hat, seit Welsers Affe zum ersten Mal Studierende erheiterte.
Lange Zeit war der „KW“ die unumgängliche Hauptgrundlage für ein anständiges, nervenaufreibendes und mindestens 4 Semester (haha!) umfassendes Betreiben des Zivilrechtsstudiums. Auch ich habe meinen KW durchgelernt, gekennzeichnet und ihm diesen einzigartigen Flair komplett zerlesener Studienunterlagen verpasst, den nur Jus-Studenten derart zur Kunstform zu erheben vermögen.
Nun soll man über den KW nicht schimpfen (ich habe meinen noch zu Hause), er war ein anständiger Grundriss, und wie alle Grundrisse eben nun mal sind, didaktisch mit gewissen Schwächen versehen. Man sagt ja nicht ganz zu Unrecht, dass Zivilrechtslehrende die eine Hälfte ihres Lebens darauf verwenden, mit aller Kraft, Nachtschichten und dem Schreibeinsatz von zahllosen AssistentInnen ein neues Lehrwerk aus dem Boden zu stemmen. Den Rest der Zeit verbringen sie dann damit, es verzweifelt aktuell zu halten. Gelingt es einem solchen Werk dann aber in Studium und Lehre zum neuen Bestseller zu werden, bekommt es unter Studenten schnell Kultstatus, es liegt plötzlich auf allen Leseplätzen und wird von Bibliothekaren bei Eintreffen einer Neuauflage wie die heilige Schrift in einer Art feierlichen Prozession in die Katalogisierung getragen. Nach einigen Jahren oder Jahrzehnten wird das Herausgeber-Team eines solchen Grundrisses dann von der nachfolgenden akademischen Generation beerbt und exthronisiert, worauf das Spiel von vorne beginnen kann:
Inzwischen gibt es auch in Österreich seit einigen Jahren ein neues Zivilrechtslehrbuch mit angeschlossenem Casebook, das man tatsächlich auch lesen kann ohne am berühmten fachchinesischen Knoten im Kopf zu kollabieren, und dafür muss man dankbar sein. Es ist ein Lehrbuch, das sich unter Studierenden großer Beliebtheit erfreut, und dank didaktischer Finesse den traditionellen „KW“ etwas alt aussehen lässt.
Der „PSK“
Perner/Spitzer/Kodek: Bürgerliches Recht
Lernen – Üben – Wissen – inkl Glossar 6. Auflage 2019
Österreich Casebook 2. Auflage 2019
Aber kommen wir zurück zum Affen. Die Erzählung mit dem Affen lebt natürlich in erster Linie von der Phantasie des Menschen, davon, welche Bilder beim ersten Hören im Kopf freigesetzt werden, und diese Szene sollte eigentlich nicht durch ein schnödes Bild zerstört werden. Ich habe mich trotzdem an einer Darstellung versucht.
An dieser Geschichte ist jetzt nicht nur für Katzenliebhaber einiges empörend.
Zunächst: Die Selbstverständlichkeit, mit der erzählt wird, was sich zugetragen hat. Die Konsequenzenlosigkeit (nicht für den Halter, immerhin, aber für den Affen!), und nicht zuletzt, das völlig offene Ende der parabelhaften Story, die den Leser und die Leserin verblüfft und mit zahlreichen Fragen zurücklässt:
Da wäre zunächst mal der Affe. Warum zur Hölle ist da ein Affe in dieser Wohnung? Zumal: Offenbar ist es nicht einmal der „Wohnungsaffe“, er befindet sich einfach nur dort und scheint gegebenüber der gewohnheitsrechtlich und hierarchisch zweifellos höher gestellten „Wohnungskatze“ mehr als verdächtig.

War der Affe zu Besuch? Haben wildfremde Gäste einen (offenbar völlig unerzogenen) Affen in die Wohnung gebracht, der sich diesen seltenen Ausflug zunutze machte um seine abgündigsten Charaktereigenschaften gegen die arme Hausgadse zu richten? Oder befinden wir uns in einem deutlich südlichen Land, in dem Affen über Balkontüren wild von Haus zu Haus flottieren, ist der Affe widerrechtlich eingedrungen? Man kann nur mutmaßen.

Der wilde Hauch der Praxis
Grau ist alle Theorie. Studierende versinken zuweilen in ihrem Studium in Bergen von Material und Schriften, und wenn sie nicht gerade an einem Moot Court teilnehmen oder ein Praktikum in einer der als geldgeil verschrienen Anwaltskanzleien absolvieren, dann bleibt „die Praxis“ für sie zunächst ein ferner Planet.
Das beständige Reden von „der Praxis“, in der dann manches „aber nicht so gemacht wird“ oder „nie im Leben gehen würde!“, es hat im Studium den wilden Hauch der alten Marlboro Man Werbungen, in der man Pferde, Zigaretten und Wüstensand schmeckt und sein eigenes Leben im Vergleich wie das eines gelangweilten Buchhalters durch die grauen Lehrbuchzeilen rinnen sieht.
Daher ist der Affenfall ein gutes Beispiel für den wilden Hauch der Praxis. Für Jusstudierende ergibt sich der Spaß an einem solchen Judikaturzitat aus dem gewissen rhetorischen Zaunpfahlwink, den es beinhaltet, und den sie im Studium früher oder später erlernen: Selbst bei einer haarsträubenden Geschichte wie „wirft daher ein in der Wohnung befindlicher Affe“ impliziert das kleine Wörtchen „daher“, dass es dazu einen echten Gerichtsfall gab und sich dergleichen tatsächlich zugetragen hat. Und zwar nicht nur, wie es in X-Factor immer so schön hieß „irgendwo im New York der 1980er Jahre“. Sondern hier, in Österreich womöglich, und in bekannter Rechtsprechung verewigt.
Da draußen eben, in der echten wilden Praxis.
Den Schreibenden solcher Klausurfälle und Lehrbücher ist das natürlich mitunter durchaus bewusst, weshalb man sich doppelt bemüht, die Sache durch möglichst nüchterne und gleichgültige Wiedergabe zu konterkarieren. Natürlich will man die Studierenden dadurch auch dazu kriegen, dass sie auf die Suche nach der Quelle gehen, die Gerichtsentscheidung aufsuchen und im Urteil den Sachverhalt nachlesen.
Und um sich selbst ein Bild davon zu machen, was da Unerhörtes passiert ist.

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