R*****lstilzchen und der Datenschutz

Märchen neu erzählt
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Es war einmal ein Bibliotheksnutzer, der war besonders neugierig. Er suchte ein Buch, das aber entlehnt war, und da er sehr ungeduldig war, so ging er zum Bibliotheksschalter und dachte er könnte so herausbekommen, wer das Buch bei sich hätte.

 

„Gewiss dürfen Sie mir nicht sagen wer ein Buch entlehnt hat, oder?“ – „Sehr richtig.“ sagte die Bibliothekarin „aus Datenschutzgründen dürfen wir darüber keine Auskunft erteilen.“.

„Nunja“, meinte der schlaue Nutzer „ich bräuchte es aber wirklich mega urgent, Frau Bibliotheksmiss, nämlich!“. „Tut mir leid.“ sagte die Bibliothekarin.
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„Ich könne ja raten..“ meinte der Nutzer darauf..“dann bräuchten Sie gar nichts verraten und wären total safe..“
-„NEIN.“
„Ach kommen Sie..es ist bei Prof. Hinz, ich weiß es doch! Das ist genau sein Fachgebiet..alle DSGVO Kommentare stehen bei ihm im Handapparat..“
-„NEIN!“
„Wie NEIN? – NEIN er hats nicht? – Ha!“
-„NEIN. Bitte gehen Sie jetzt.“

 

Der Nutzer wurde immer aufdringlicher und schielte distanzlos auf den Bildschirm des Computers. Durch Schmeicheleien und Komplimente versuchte er die Bibliothekarin für seine Sache zu gewinnen. Der mehrmaligen Aufforderung  einen Sicherheitsabstand einzuhalten, wollte er nicht Folge leisten.
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„Ich habs: Dann heißt er vielleicht Kuntz!“
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Der Nutzer überschritt nun wirklich die Grenzen der Höflichkeit. Er tanzte wild in der Bibliothek auf und ab, und nannte alle personenbezogenen Daten, die ihm in den Sinn kamen. „Ist der Entlehner blond oder brünett?“ – „NEIN.“ – „Hat er eine Brille?“ – „NEIN.“ „Keine Brille also, vielleicht ein auffälliges Haustier?“ „NEIN! „Eine spezielle Vorliebe, ein Hobby, eine politische oder sexuelle Orientierung oder sonst irgendetwas von Krankheitswert?“ – „NEIN!“.
„Fahhradfahrer?“ – „Ich weiß nicht.“ „Ohrringträger?“ – „Vielleicht.“. „Aha! Eine Frau!“ -„NEIN! GEHEN SIE JETZT!“
„Also keine Frau?“ Hm…..dann…heißt er vielleicht…R*****stilzchen?!!!“
„Warten Sie kurz..ähm..NEIN.“
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Da wurde es dem Nutzer zu bunt. Aus Wut darüber, dass er partout keine Auskunft von der Bibliothekarin erlangen konnte, verlor er völlig die Fassung. Er nahm sein Bein in die Hand, und riss sich selbst entzwei (diese Stelle hat die Bibliothekarin schon als Kind aufgrund ihrer Akrobatik tief fasziniert).
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Die Bibliothekarin aber lebte glücklich und datenschutzkonform weiter in der Bibliothek.
Und die Moral von der Geschicht: Als Bibliothekare sind wir Hüter des Wissens und der Weisheit. Wir verraten keine sensiblen personenbezogenen Daten an neugierige Menschen. Und Sie sollten das auch nicht tun.

Neue Passwörter

Eines Tages kamen die Leute von der IT-Abteilung und sagten,
dass wir neue Passwörter bräuchten.
Bisher hatte jeder von uns nur ein Passwort gehabt, das für alle unsere Portale
funktionierte. Aber die IT-Leute sagten, das wäre nicht sicher genug.
Von nun an sollte jeder von uns zwei Passwörter haben; von denen eines für das
Anmelden beim Computer, und das andere für alle Internet-Anwendungen benutzt
werden sollte.

Die zwei Passwörter durften nicht dieselben sein, und
sollten sich wesentlich voneinander unterscheiden. Außerdem musste jedes
Passwort mindestens 18 Stellen haben und Zahlen, Groß- und Kleinbuchstaben
beinhalten, außerdem mindestens einen Hieroglyphen, Blindenschrift, ein
Rilke-Gedicht, Feenstaub und noch einige andere international anerkannte
Standards.

Ein Kollege fragte, ob er den Namen seines Haustiers
weiterhin verwenden dürfte, denn er hätte dieses Passwort jetzt schon seit 20
Jahren verwendet, und er könne sich sonst einfach nichts merken.
Er könne den Namen ja auch dreimal hintereinander schreiben, damit das
Passwort lang genug würde. Aber die IT-Leute sagten, das wäre nicht sicher
genug. Sie erklärten uns, dass wir in Zukunft unsere Passwörter jeden Monat
ändern müssten, weil sie sonst zu leicht geknackt werden könnten.
Dazu würde es reichen jeden Monat einen kleinen Buchstaben zu verändern, aber zumindest
ein Buchstabe müsste regelmäßig geändert werden. Sonst würde das Passwort gesperrt
werden.

Auch sollten wir keine einfach zu erratenden Passwörter wählen, die mit uns in
Verbindung standen, wie einen Namen, unser Geburtsdatum oder leicht zu
erratende Zahlenfolgen wie “12345″
(an dieser Stelle wurden einige im Podium rot).
Zum Abschluss schärften sie uns noch ein, dass wir unsere Passwörter nirgends
aufschreiben, und auch mit niemandem darüber sprechen dürften.
„Am besten machen Sie sich einen Merkspruch, eine Art Eselsbrücke. Die sagen
sie dann innerlich immer leise vor sich hin, und dann tippt sich das Passwort
ganz wie von selbst!“

In den nächsten Tagen geschahen interessante Dinge.

Die Mitarbeiter von der IT-Abteilung mussten immer wieder
vorbeikommen, um die Passwörter zurückzusetzen, weil ständig Leute ihre
Passwörter verwechselten oder vergaßen. Und wenn man dreimal falsch getippt hatte,
war man überhaupt für den Rest des Tages gesperrt.

In der kleinen Kaffeeküche saß jetzt gegen 11 Uhr oft schon
eine kleine Gruppe von Leuten, die entweder auf den nächsten Einsatz der
IT-Abteilung warteten, oder für den Rest des Tages in allen Systemen gesperrt
waren.

Auch am Gang traf man immer ein paar Kollegen, die sich gegenseitig ihre
neuesten Passwort-Katastrophen schilderten. Zu einer solchen Gruppe gesellte
auch ich mich nach einigen Wochen, weil ich meine Passwörter schlussendlich
auch dreimal falsch eingegeben hatte, und nun nicht mehr weiter arbeiten
konnte.
Gefragt, ob sie meine Liste mit den Korrekturen schon gelesen hätte, sah mich die
Kollegin mit merkwürdig verschmitztem Lächeln an. Dann rollte sie mit irrem
Blick die Augen gen Himmel und murmelte: „Ach weißt du, ich bin nicht mehr so
oft..online..“.

Diese Vorfälle häuften sich.
Auf die Beantwortung von Mails musste man jetzt teilweise mehrere Tage warten,
und wenn man versuchte die Leute telefonisch zu erreichen, nahm niemand den
Hörer ab. Erhielt man dann nach Tagen endlich eine Antwortmail, hatte sich das
ursprüngliche Anliegen oft schon wieder erledigt, und so etablierte sich
allmählich eine entschleunigte Unternehmenskultur.

Aus einem naheliegenden Büro hörten wir eines Tages Flüche und Beschimpfungen,
und hektisches Trommeln, als würde eine Tastatur gegen Metall geschlagen.
Als wir leise näher traten, saß dort eine Kollegin schwitzend vor ihrem Rechner,
und stammelte mit wirrem Ausdruck gebetsartig das immer selbe Sprüchlein vor
sich her:
„Hicketi hucketi puck! die kleine Raute guck! Sie sitzt im Eck vom 7er klein, da
muss auch gleich die Klammer sein, es kreuzt das Fragezeichen steil..der
Beistrich trifft den Omega-Pfeil..“

Ein leichtes Schaudern erfasste uns, und wir wendeten uns
diskret zu einer Fensternische. Dort saß Kollege R. heulend mit seinem Laptop
auf dem Schoß, der Bildschirm war komplett schwarz. Wir schwiegen lange, und
Kollege R. sah uns mit traurigen Augen an.
„Ich fühle mich alt.“ sagte er.
Der Kollege mit dem Haustier hatte sich gleich nach den ersten Tagen krank
gemeldet, und war seither nicht mehr in der Arbeit gesehen worden.

Das ist alles lange her. Seither ist vieles anders geworden.
Wir verbringen jetzt viel Zeit im Freien. Wir sitzen am Feuer und erzählen uns
Geschichten, diskutieren über die Politik und das allgemeine Weltgeschehen, wir
gehen spazieren, lassen Drachen steigen und reden über Kochrezepte, die wir aus
gedruckten Büchern abgeschrieben haben.
Das Leben ist schön eigentlich.

Ich weiß nicht, ob wir jemals an unsere Schreibtische
zurückgehen werden, aber im Moment sieht es nicht danach aus.
Unseren Kindern aber wollen wir einmal erzählen, wie das war, damals, als die neuen
Passwörter kamen.