Über die unanständige Größe des Handapparates bei den Juristen

„Ein Jurist muss quasi wo er geht und steht von einem Regal von Büchern erschlagen werden. Sonst fühlt er sich ja gar nicht wohl!“

Friedrich Torberg

Stellen Sie sich vor, eines morgens erwachte Professor B. aus wilden Träumen. In seinem Badezimmer stand ein Bundesbediensteter, der gerade dabei war die Zahnbürste des Herrn Professor B., seine Seife, Duschgel und Shampooflaschen in eine versiegelbare Plastiktüte zu füllen. Auf erstaunte Nachfrage wurde dem Professor B. mitgeteilt, dass seine Zahnbürste gemeinsam mit anderen Zahnbürsten in ein großes zentrales  Pflegemittellager gebracht würde. Dort sollten alle Zahnbürsten und Pflegeutensilien dieses Straßenstriches zentral verwaltet werden, und aus Effizienzgründen würde der Prof. B. diese Dinge in Zukunft mit anderen Hausbewohnern gemeinsam benutzen müssen. Das wäre zwar eine Umstellung, würde aber im Ergebnis dazu führen dass ALLEN eine größere Auswahl an Zahnbürsten, Waschmittel und Badeschwämmen zur Verfügung stünde. „Aber meine Zahnbürste!“ rief Professor B. empört, bevor man sie einpackte und forttrug..

Sehen Sie, ungefähr so fühlen sich Juristen, wenn man ihnen an ihren Handapparat will. Sie fühlen sich tief getroffen, in dieser intimsten ureigensten Schutzhülle, die zu einem glücklichen juristischen Forschungsleben nunmal conditio sine qua non ist. Die Papierlandschaft, die den Juristen und die Juristin umgibt, sie stellt sich wehrhaft gegen alle neumodischen Tendenzen, die dieser platzraubenden Tradition mit Unfug wie e-books und „Digitalisierung“ zu Leibe rücken wollen. Papierne Trutzburgen gegen den Medienwandel.

Schutz und Schirm  – Der Handapparat

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Mediendämmerung – Eine Doppelkultur

Dass Juristen dazu neigen einen Haufen Bücher um sich herum zu horten, wird an einer Universität auch heutzutage niemanden erstaunen und so ist der digitale Medienwandel der vergangenen Jahre an der juristischen Printlandschaft einigermaßen geräuschlos vorbeigezogen, ohne größeren Schaden zu hinterlassen. Vielmehr haben die juristischen Verlage die neue Technologie als willkommenes Spielzeug für moderne Geister in ihre ursprüngliche Papierkultur integriert, aber so ganz traut man der Sache mit diesem Internet ja nun doch nicht. Und so versorgen die Verlage die juristische Forschungsgemeinde nun umso gerner mit beidem: E und Print!

Ein bewegliches System

Für Außenstehende sollte das Spiel „Handapparat“ an dieser Stelle noch kurz erklärt werden: Alle paar Jahre wird eine Universität vom Effizienzgedanken geplagt, und man beschließt den Wildwuchs von zahlreichen kleinen Instituts- und Fachbereichsbibliotheken zu einer großen Bibliothek zusammenzuführen. Die Institute (wenn es sich dabei um Juristen handelt) reagieren auf diese Umstellungsphantasie mit wildem Zorn und Ablehnung, sie drohen mit Aufstand, mit den Medien und dem Weltuntergang. Um sie zu besänftigen, verspricht man ihnen von Rektoratsseite mehr Budget und neue Services, und von Bibliotheksseite große, schöne, ehrfurchtgebietende Handapparate.

Nach einigen Jahren haben sich alle vom Schock der Veränderung erholt, die Universität steht noch, und die Welt ist auch nicht untergegangen. Die versprochenen Handapparate sind von Größe und Inhalt kaum von den verloren gegangenen Institutsbibliotheken zu unterscheiden, und die neue Zentralbibliothek nützt nun auch den Studierenden etwas, die endlich Zugang zu Büchern unter einer ordentlich aufgereihten Signatur gewonnen haben. Ob die gewünschte Effizienz dadurch wirklich eingetreten ist, sei dahin gestellt (und sowieso lassen Juristen gerne etwas dahin gestellt, denn dort steht es meist gut). Das Geld wird nun nicht unbedingt weniger, aber an anderen Stellen investiert, und im Rektorat sitzen schon wieder neue Leute, denen die Vergangenheit keine grauen Haare wachsen lässt. Weil aber alle auch immer ein bisschen bestraft werden müssen, zwingt man die Juristen ihre Handapparate selbst zu verwalten, was sie mit wechselndem Erfolg tatsächlich auch versuchen, die meiste Zeit aber der Bibliothek andingen wollen, die schließlich auch bestraft werden soll.

Gewissermaßen, ein sehr österreichisches System.


Der Handapparat: Werkzeugkoffer und Erinnerungslandschaft

Es ist jetzt nicht so, dass die juristischen Forscherinnen und Forscher diese Handapparate nicht bräuchten. Zunächst mal ist der Handapparat die einzige Möglichkeit die absolut notwendige Forschungsliteratur vor den frechen Studenten überhaupt irgendwie einigermaßen in Sicherheit zu bringen, und wer könnte das verübeln. Es mag zwar schon der ein oder andere Dissertant mit einem glücklich eroberten Festschriftenbeitrag in der Hand wieder zwischen zwei Regalen hervorgekullert sein, aber die Regel ist das eher nicht.

Der Handapparat gehört auch selten einer Person. Vielmehr ist der Handapparat eine Art Feigenblatt, hinter dem sich mengenmäßig locker die ursprünglich vorhandene Institutsbibliothek verbergen lässt. Und so wie Satelliten um einen Planeten kreisen, kreisen die AssistentInnen um den Handapparat des Lehrstuhlinhabers, der auch seinen Namen für das Gemeinschaftsprojekt hergibt. Wie eine Krake erstreckt eine solche Handbibliothek oft ihre Arme und Tentakel auf verschiedene Zimmer und Büros eines Stockwerks.  In extremen Fällen wird der Name des ursprünglichen Handapparates sogar weit über die Emeritierung des ersten Inhabers fortgeführt, was kecke Bibliothekarinnen gerne verleiten könnte, da und dort ein Schild anzubringen: Begründet von.

 

Wer hat den Längsten?

Gut, das war jetzt ein bisschen sehr vulgär. Tatsächlich ist ein Handapparat nicht selten auch ein Prestigeobjekt, an dessen Umfang problemlos das Ansehen und die Position der Inhaber/in in der Institutshierarchie  abgelesen werden kann.
Auch wer Kinder- oder Auslandshalber für einige Zeit aus dem Forschungskarussel aussteigen muss, tut gut daran beizeiten eine entsprechende Menge von Büchern in seinem Büro zu bunkern, um zudringlichem Forschungsnachwuchs Respekt zu gebieten und das eigene Revier zu markieren.

Nicht selten ist der Handapparat aber auch eine kollektive „Erinnerungslandschaft“, in der die Erstausgaben des dazumal hier entstandenen Lehrbuchs, Herausgeberschaften und Mitarbeit an Kommentaren aufbewahrt, und das Forschungsleben am Institut erinnert und gespiegelt wird.

Über Kern und Hof

Wie die meisten juristischen Institutionen hat auch der Handapparat einen mehr oder weniger fixen „Kern“ und einen „Hof“, welcher den Kern umgibt, und Wechselfällen des Schicksals (wie Neuauflagen oder Schwund) unterworfen bleibt. In die Bibliothek zurück gelangt niemals der „Kern“, sondern immer nur der „Hof“, und selbst das geschieht nur wenn am Institut der Platz ausgeht, neue Kollegen ein Büro oder ein Regal beanspruchen, oder Werke aus der zweiten Reihe aufgrund Zustands oder Überalterung genügend an Interesse verloren haben, um sie wieder in den allgemeinen Bibliotheksbestand einzugliedern.

Dort steht dann oft schon ein Exemplar desselben Werkes, denn die Bibliothek hat in der Zwischenzeit nicht geschlafen sondern für die armen Studierenden entsprechende Lesesaalwerke erworben. Einer kundigen Sichtung durch Fachreferentinnen muss eine solche Handapparats-Abgabe daher immer unterzogen werden, um den Bibliotheksbestand vor einer Entwicklung ins Museale zu bewahren.
Und falls Sie bis zu dieser Stelle gelesen haben, dann sind Sie entweder juristisch oder bibliothekarisch vorbelastet, oder beides. Und verdienen jedenfalls die Information, dass das einleitende Zitat von Torberg selbstverständlich frei erfunden war. Irgendwie muss man die Leute ja herlocken..img_0045