Die Erwartungshaltung ist ein Hund. Das zeigt sich nicht nur beim Zugfahren in der ÖBB Ruhezone (dort ist es nämlich alles mögliche, nur nicht ruhig), sondern trifft auch für das ein oder andere Buchcover zu. Über Thomas Bernhard wird erzählt, dass sich die Leute bei ihm beschwert hätten, weil sein Buch „Beton“, im Fachhandel in der Abteilung „Bauen und Wohnen“ einsortiert, ihren Erwartungen so gar nicht entsprochen habe. Wie muss es dann wohl erst seinem Roman „Holzfällen“ ergangen sein, möchte man denken, wenn man durch unser Festschriften-Regal schweift. Dort findet sich immerhin ein Werk mit dem pragmatischen Titel: Brücken bauen.
Festschriftenpoesie
Die Festschrift, von jeher eher ein literarisches Nischenprodukt, dient heute allenfalls noch dazu Studenten mit dem Staub der Vergangenheit maximal zu langweilen. Auch die Publikationsgeschichte mancher Festschriften gleicht eher einem Trauerspiel mit hässlichem Termindruck, vergnüglich dazu Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren. Vielleicht um ihren eher randständigen Charakter im Buchregal mit dem gewissen Chic zu kompensieren, tragen Festschriften oft die poetischsten, ja man möchte fast sagen, reißerischsten Titel. Sie funktionieren grundsätzlich nach der Formel „Hauptwort UND Hauptwort“ (Wahrheit und Pflicht/Krieg und Frieden/Sinn und Sinnlichkeit, etc.), beinhalten aber auch gerne ganze Sätze, die in Goldprägung auf körniges Dunkelblau hingeworfen sind, und jedem von Eichendorffschen Zitatespiegel Konkurrenz machen könnten: Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus. Eine besonders obskure Kategorie von Schriftentiteln vergemeinschaftet schließlich einen regionalen Aspekt mit einem möglichst weit umfassenden Sinnwort, was dann ungefähr so klingt: Die Sintzsheimer Abgründe, die Olbrichsburger Argumente oder die berühmten Hohenheimer Horizonte, wer kennt sie nicht. Eine besondere Vorliebe für derlei imposantes Titelwerk hegt man offenbar in der Schweiz.
Fifty Shades of Grey
Ein Lehrender der hiesigen Anstalt schrieb jedenfalls eine Habilitation mit dem Titel „Wert und Preis“, und das ist ja nun von Jane Austens berühmten Roman „Stolz und Vorurteil“ durchaus nicht mehr weit entfernt, auch wenn darin wohl mehr geliebt und geleidenschaftet wird als im Gesellschaftsrecht.
Dont judge a Book by its cover
Aber nicht nur der Titel, auch das Coverbild eines Buches kann in die Irre führen und überzogene Erwartungen wecken. Erstaunliche Assoziationen und ein überwältigendes Hungergefühl weckten vor Kurzem einige neu eingetroffene Bücher zum englischen Schadenersatzrecht/Tort law, die auf den ersten Blick eher der Kochbuchsparte entstammen könnten. Tort law, na klar, von Torte, da müssen ja Kekse aufs Cover, könnte man meinen, aber dieser Kalauer ist denn doch etwas zu platt als dass wir ihn uns ernsthaft als Erklärung in Betracht ziehen wollten.
Absoluter Gewinner in dieser Kategorie bleibt bis heute der Delfin auf dem Kommentar für Arbeitsrecht, der uns Rätsel aufgibt. Warum der Delfin? Gelten Delfine als besonders sozial oder fleissig? Sollte drum hier die Brücke zum Sozialrecht zaghaft angedeutet werden? Sind sie in Gruppen unterwegs, vielleicht ein zarter Verweis auf das Kollektivvertragsrecht?.. Wir werden es wohl nie erfahren, womöglich hatte einfach jemand im Verlag eine Wette verloren, oder dem Setzer sind in der Hektik der Drucklegung eine Handvoll Urlaubsfotos ausgekommen. Wir Bibliothekare wollen ja immer das Gute und Schöne in den Dingen sehen, und vor allem erkennen wir stets ein System, selbst dort noch wo möglicherweise purer Zufall am Werk ist, oder anders gesprochen: Wenn man lange genug den Mond anstarrt, sieht irgendwann jeder ein Gesicht.
Danksagungen
Aus diesem Grund werden wir sogar gelegentlich bedankt, was auch in poetischen Formulierungen geschieht.