„Russia: Douze Points!“ – politische Lektüren zum Eurovision Song Contest

Ich hatte mir kürzlich gewünscht, dass die Völkerrechtler in meinem Umfeld doch mal was zum SongContest diskutieren oder aus ihrer Sicht erzählen oder schreiben sollten. Dass der ESC eine reichlich politische Veranstaltung ist und immer war, muss an dieser Stelle nicht extra erwähnt werden. In diesem Atemzug habe ich die Bestände der Bibliothek nach ESC Literatur durchforstet und bin auf durchaus interessante Werke gestoßen. So Here you go.

 

Ein ganzes Feld widmet sich der Teilnahme der ehemaligen Ostblockländer beim Song Contest. Es geht um Geld, es geht um Macht, es geht um Geschlechteridentitäten in traditionalistischen Rollenbildern. Dass hier gerne Länder aus eher strategischen Überlegungen politische und geografische Nachbarn durch großzügige Punktevergabe freundlich stimmen, ist auch kein Geheimnis mehr. Diesen für den Zuschauer relativ langweiligen Gefälligkeitspunkten wird in der Geschichte des ESC immer wieder durch Einführen oder Abschaffen verschiedener Jurywertungs-Systeme gegengesteuert. Nicht besonders erfolgreich.
img_0055

Früher war mehr Lametta

Dass kaum mehr in den traditionellen Landessprachen gesungen wird, bedauert die Erstellerin dieses Blogs aus persönlichem Unterhaltungsgedanken heraus. Auch die Klassiker der Bühnenkunst geraten leider zunehmend in Vergessenheit: Dazu gehören beim ESC der großzügige Einsatz von Feuer und Wasser, aber auch das Auftreten in folkloristischen Trachten und Phantasieuniformen. Beliebt war früher auch das „Wechselkleid“, welches mit einem beherzten Ruck zum Vorschein gelangte.

img_0044

The Case of Conchita

img_0054

War der ESC früher Austragungsort einer eher verstaubt anmutenden Ostblock-Nostalgie, wird er seit der Jahrtausendwende zunehmend zum Verhandlungsplatz für liberalere Sexualmoral, Rollenidentitäten und Geschlechterdefinition, was auch in den Songs und der Entsendung der Interpreten zum Ausdruck kommt.

Negotiating Sexual Desire at the Eurovision Song Contest: On the Verge of Homonormativity?

Nicht zuletzt geht es beim ESC auch um eine Menge Geld und Tourismus, und die Frage welches Land als Sieger den Austragungsort des Folgejahres stellen wird. Besonders kontrovers und skurril geraten hier immer Beiträge von Staaten, die von der allgemein schlechten Menschenrechtslage im eigenen Lande mit einer überkompensatorischen Show aus Glitzer und Travestie ablenken wollen (Azerbaidschan).

Und, zurück zum Völkerrecht: Falls Sie sich auch schon immer gefragt haben, warum Australien am Eurovision Song Contest teilnimmt: Ich mich auch.

Die angeführten Werke sind alle im Bestand der WU Bibliothek erhältlich. Auffinden und lesen kann man Sie übrigens nur, weil hochsensible OCR Technik die Inhaltsverzeichnisse erkennt. In vielen Fällen wird ein solcher Artikel aber überhaupt erst dadurch erkannt, dass ein kundiger Fachreferent/in den Inhalt nochmal kurz quer liest, und in den Datensatz schreibt: „Eurovision Song Contest“. Das ist so ziemlich das beste Beispiel, wie man den Wert von Sacherschließung erklären kann.

Hier sehen Sie nochmal ein Cover, das das Verhältnis der Balkanländer zu Europa thematisiert. Es ist etwas verwirrend, denn man sieht Pierre Brice (einen Franzosen), der Winnetou (einen Indianer) spielt.
Sinn ergibt das Bild nur, wenn man weiß, dass die Filme in Yugoslawien entstanden, deswegen sieht man auch manchmal die Autobahn im Hintergrund. Der deutsch-serbische Schauspieler Gijko Mitic (rechts) wurde zum Darsteller zahlreicher fiktiver Indianerpersönlichkeiten.
img_0041