Wie auf Schienen: Haftungsfragen selbstfahrender Autos und die didaktische Apokalypse

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Zwei- oder dreimal im Monat stehe ich mit einer Kollegin vor Studierenden und bringe ihnen die Grundlagen der juristischen Recherche bei. Wir machen vor allem die Datenbanken, wir zeigen wie sie in der RDB und im RIS Gesetze und Artikel finden, und besuchen die selbst von Praktikern eher gefürchtete Parlamentsseite. Wir erzählen ihnen aber auch, was eine Festschrift ist (das wissen die Studenten heutzutage wirklich nicht mehr). Unser Standardsatz dazu lautet „Eine Festschrift hat vorne drin ein Selfie des Autors!“, weshalb man sie auch Selfie-Schriften nennen könnte. Ein billiger Schmäh, aber er wirkt. Dann erklären wir, wie man mit Kommentaren und Entscheidungssammlungen zurecht kommt, womit man Zitierweisen und Abkürzungen entschlüsseln kann (RIDA), und wo man fündig wird, wenn es einmal wirklich altes Material aus der Kaiserzeit sein soll (ANNO, ALEX, docdel).

Der Vorführeffekt

Im Internet in Kursen live etwas vorzurecherchieren gehört so etwa zum Anspruchsvollsten was man machen kann. Denn erstens ist das Internet eine Diva mit wechselnden Launen, und zweitens lauert er überall: Der Vorführeffekt. Wir kennen das alle, man klickt auf den Link „und hier sehen Sie, wie von Zauberhand, gleich öffnet sich ein Fenster“ und es öffnet sich eben nichts, sondern es passieren andere, schlimme Dinge. Und wir sehen vor unserem inneren Auge Alfred Biolek in einer dieser 80er Jahre Kochshows, und er sagt „Sehen Sie! die vollautomatische Orangenentsaftungspresse häckselt ganz kinderleicht ihre Orangen“ und die Orangen fliegen durch die Küche, der Entsafter, der doch eben noch kinderleicht, er bricht in zwei Teile und Biolek ist voller Orangensaft, und sehen Sie: So ähnlich ist das, wenn man im Internet etwas live vor Studierenden vorrecherchiert.

Vertretung von Gemeinden

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Man sollte deshalb selbst als Vortragsprofi nie auf die Idee kommen, nur mal schnell „spontan etwas auszuprobieren“ – das Risiko, dass etwas schief geht und Sie enden wie Biolek, ist relativ hoch. Aus diesem Grund hatten wir uns über die Jahre einige gut funktionierende und erprobte Beispiele zurechtgelegt, und eines dieser Beispiele war „Vertretung von Gemeinden“. Vertretung von Gemeinden heißt ein Paragraph im ABGB und wir hatten das Beispiel aus einer Themenliste unserer Lehrenden übernommen. Es gipfelte in einem OGH-Urteil über ein Benediktinerstift, das einen Hauswart kündigen wollte, und der Frage, ob die das nun dürfen oder nicht. „Vertretung von Gemeinden“ war als Beispiel ungefähr so sexy wie Gemüsebrühe, aber es war ein gutes und vor allem tatsächlich an der Uni von Studierenden bearbeitetes Thema, es trug uns gut durch die Zeit. „Vertretung von Gemeinden“ ermöglichte uns einen hurtigen Parforceritt durch die verschiedensten Datenbanken, und wir konnten anhand von nur einem Beispiel sowohl die Suche nach OGH-Urteilen und Zeitschriften mittels Operatoren, als auch das für Juristen symptomatische Abkürzungs-Chaos umfangreich behandeln. In der ersten Zeit, als ich vor dem Halten solcher Kurse noch schlaflose Nächte hatte, war „Vertretung von Gemeinden“ mein vertrauter Rettungsanker, der mich durch die Lehrveranstaltung trug. Mit der Zeit, und nach vielen vielen Kursen wurde es dann immer mehr zu einem lästigen  Ohrwurm, der nach Belebung durch etwas Frisches rief, er war schlicht zur Routine geworden. Noch heute aber könnten meine Kolleginnen und ich spontan auf jedem Marktplatz der Welt einen kurzen Vortrag über „Vertretung von Gemeinden“ und den Benediktinermönch halten, so sehr ist uns das Beispiel in Fleisch und Blut übergegangen.

Selbstfahrende Autos

Unser neues Beispiel handelt von selbstfahrenden Autos, und das finden wir aus mehreren Gründen ganz großartig. Wir befinden uns im Schadenersatzrecht, und das gefällt den Studierenden schon einmal. Im Schadenersatz geht es ja meistens darum, dass jemand einem anderem wehtut, etwas wegnimmt oder etwas kaputtgemacht wird, zum Beispiel man stutzt seine Hecke mit der Gartenschere und dabei versehentlich die Katze vom Nachbarn mit, und das gefällt den Leuten, denn es ist schön plakativ und man kann sich darunter (anders als bei der Rückabwicklung im Dreiecksverhältnis), zumindest etwas vorstellen.
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Am Schadenersatzrecht kann man gut den Technologiewandel begreifbar machen. Denn ging es in älteren Fällen darum, dass echte Menschen etwas falsch machen, so geht es jetzt zunehmend um Maschinen und Roboter, die nicht im herkömmlichen Sinne des Gesetzes „schuld“ an etwas sein können, aber dennoch selten tun, was sie sollen, wie etwa selbstfahrende Autos, Rasenmäherroboter (liebevoll auch elektronische Schafe genannt) oder schlicht Algorithmen.

Wer haftet?
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In unserem neuen Beispiel geht es also darum, wer haftet, wenn es zu Unfällen mit selbstfahrenden Autos kommt. Bei dieser Gelegenheit kann man herrlich auf alles eingehen, was den juristischen Beruf ausmacht: Eine gewisse Kreativität beim Interpretieren von Sachverhalten, die Freude am Analysieren von technischen Neuerungen, und nicht zuletzt das Bilden von Analogien für jene Zeichen des digitalen Fortschritts, für die der Gesetzgeber noch keine Lösung geschaffen hat: Denkt man sich das selbstfahrende Auto als eine Art Waggon, der wie von Zauberhand auf virtuellen Bahnen gelenkt wird, quasi „wie auf Schienen“, dann ist man schnell bei einem anderen Verkehrsmittel, nämlich der Eisenbahn. Und somit im EKHG und zunächst einer Art von Gefährdungshaftung, die das Gesetz für Tätigkeiten vorsieht, die man als „an sich gefährlich“ einstufen könnte, wie das Betreiben schwerer Maschinen, oder das Bilden einer Bundesregierung.

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Kluge Menschen haben sich darüber hinaus gefragt, ob das selbstfahrende Auto dem Betreiber wie eine Art Lehrling zuzurechnen sei, was dann wieder eine Art Verschuldenshaftung wäre. Und um das Kaleidoskop der Haftungsarten komplett zu machen, kann man die Sache auf die Spitze zu treiben, nämlich über das Produkthaftungsgesetz. Mittels einer Haftung für die zugrundeliegende Software könnte man in solchen Fällen den Hersteller der selbstfahrenden Autos belangen. Wenn man, und auch darüber ist diskutiert worden, denn annimmt dass Software ein körperliches Produkt im Sinne des PHG darstellt..und so weiter und so weiter, und letztlich landet man bei all diesen Themen  immer auch noch im Versicherungsrecht, dem etwas stoffeligen großen Bruder des Schadenersatzes.
Dies alles sind Fragen, anhand derer man wirklich sehr plastisch die Fortentwicklung von Technik und Recht beobachten kann, und die sich in Zukunft vielleicht noch viel häufiger stellen werden. Jedenfalls aber eignen sie sich hervorragend um mit Studierenden zu diskutieren und Gedankenexperimente anzuregen.

Didaktisch hinterlistig, wie wir sind, kann man zu Beginn ein kleines führerloses Auto an die Tafel zeichnen. Solche billigen Taschenspielertricks sind zwar ordinär, aber äußerst wirksam: Die Zuhörer merken sich so etwas nämlich. Sie denken dann von Zeit zu Zeit bei selbstfahrenden Autos an diese kleine Zeichnung, an den Kurs, und die juristischen Bibliothekarinnen, die ihn gehalten haben, und sie denken „Ah ja, das waren die mit dem Auto!“.
Nicht zuletzt finden wir es toll, dass zu all diesen und zusammenhängenden Haftungsfragen auch an unserer Uni schon Lehrende publiziert und kommentiert haben, von dem Manches sogar erst erscheinen wird. Stellvertretend für Viele:

Maximilian Harnoncourt, Haftungsrechtliche Aspekte des autonomen Fahrens (FN 1 , ZVR 2016/228 (547)

In diesem Sinne haben wir uns am vergangenen Mittwoch mit einem weinenden und einem lachenden Auge von unserem geliebten Anfangsbeispiel „Vertretung von Gemeinden“ verabschiedet. Wir werden es immer in Ehren halten, und wir hoffen dass unsere Kurse weiterhin so gut ankommen und laufen wie bisher, eben:
Wie auf Schienen.