Loseblattsammlungen

Jedes Jahr vor der Ferienzeit werden zahlreiche verwahrloste Loseblattsammlungen von ihren überforderten Besitzern in Bibliotheken ausgesetzt. Haben Sie ein Herz und übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Lieblinge.

Wer immer mit Loseblattsammlungen zu tun hat, kann nur
schwer verkennen,
dass es sich bei dieser Mediensorte im Grunde um so etwas wie sehr unerzogene
und gewaltbereite Haustiere handelt:

Zunächst mal muss man sie ständig füttern, sonst Problem.
Bevor man das aber tun kann, muss man die herumstreunenden Mappen erst einmal
suchen und mühsam einfangen, weil sie zum ziellosen Herumflottieren (beim
Institutspersonal) neigen, anstatt an ihrem Platz zu bleiben.

(Das akademische Personal weiß längst, dass Loseblätter nur
bei einigermaßen exklusiver Nutzung wirklich zu gebrauchen sind, und schützt
sie vor Zugriff durch die üblichen Ausreden („müssen Kommentar überarbeiten,
Verlag wartet dringend auf korrigierte Druckfahne..“ etc.).
Voller Neid blickt daher das Bibliothekspersonal in die Gerichts- und Behördenbibliotheken,
wo ein gelobtes Land voller verfügbarer, gut gepflegter Bestände ohne der
schädlichen Einwirkung von studentischen Nutzern vermutet wird.

Wie Haustierbesitzer, die vor der Ferienzeit ihres Lieblings überdrüssig
werden, setzt denn auch der Wissenschaftler und die Wissenschaftlerin die
Loseblattsammlung pünktlich vor den Ferienmonaten in der Bibliothek aus, wo sie
mit etwas Glück von aufmerksamem Bibliothekspersonal gefunden und bis zum Semesterbeginn
mühsam wieder hochgepäppelt werden kann. Das Institutspersonal ist in den
Ferienzeiten selten durchgängig vorhanden, und weiß dass eintrudelnde
Ergänzungslieferungen kaum zeitig eingelegt werden würden, da soll sich lieber
ein Fachmann drum kümmern, die Bibliothek oder sonst ein armer Teufel, und
überhaupt hat man angesichts des kruden Blattwerkes schon vor längerer Zeit die
Nerven verloren.  
Die Bibliothek dient hier gewissermaßen als Autobahnraststätte unter den
Literaturorten: Zur Stauzeit chronisch überlaufen und etwas abgeranzt, dennoch
mit einem großen Herz für verlorene Seelen..

Weitere Parallelen zwischen Loseblattsammlungen und wilden
Tieren:

-Hat Klauen und Zähne, tut weh wenn beißt
-verschlingt Unsummen an Geld
-Braucht viel Pflege und Zuwendung
(letzter Punkt besonders wenn alt)

Besprechung

“Also wegen dieser Änderung im Bestellsystem..wir sollten
keine große Sache draus machen…..Vielleicht eine kurze Besprechung, damit alle Bescheid
wissen, nur mit denen, die es unmittelbar betrifft.”

“In 15 Minuten haben wir das doch durchbesprochen.”

“Sowieso. Allerdings brauchen wir vielleicht schon jemand vom Medienmanagement…”
“Ja, das Medienmanagement muss dabei sein. Im Grunde auch die Leitung vom
Bestandsmanagement…”
“Und die Erwerbung, also die müssen schon auf jeden Fall ihre Einschätzung
geben, weil die betrifft es ja ganz unmittelbar!”

“Wahrscheinlich sollten auch 1 oder 2 Systembibliothekare zugezogen werden?
Wegen der Datenlage.
Und die Kontaktbibliothekare der Institute.”

“Ja, vermutlich..Gut nehmen wir von denen noch jeweils eine Person, das reicht
dann aber wirklich.”

“Jemand von der Adjustierung soll sich das am Schluss mal anschauen. Das
kann man auch nicht außen vorlassen. Wegen der Kennzeichnung.
Wenn wir in diesen neuen workflow die Campuslieferdienste
miteinbeziehen ist dort das Nadelöhr.”

“Und wegen der Lieferungen – Ob nicht gleich jemand auch aus
dem Controlling dazu kommen sollte? Wegen der Rechnungswege, das ist nicht
unheikel.”

“Wunderbar! Dann sollen die das Vizerektorat gleich
mitbringen, und jemanden vom Marketing.”

“Am besten geben wir dann sofort ein kurzes Statement an die Presse raus, damit
das alles schön transparent ist.”

“..Die Presseleute sind heute sicher alle im Bundeskanzleramt und berichten von der
Sitzung…”

“Sollen wir uns dann nicht gleich alle dort treffen?”
“Passt. Ich miete den Bus.”

Das Niederösterreichische Landesgesetzblatt ist eine “Extrem-Loseblattsammlung”, bestehend 31 blauen und 85 gelben Mappen. Die Loseblattsammlung, unter Bibliothekaren auch “Das Biest” genannt, ist eine der wenigen Fälle, in denen entnommene Lieferungen nach einem undurchsichtigen und kafkaesken Schema in weitere Archivordner einzupflegen sind.

Sie wird heute nur noch in speziellen Ausbildungs-Bootcamps für besonders krisengeschulte Verwaltungsbeamte eingesetzt. Wir werden Sie in Ehren halten.

Rohrpost

Liebes Rektorat,

ich beantrage hiermit die Verlegung einer Rohrpost-Anlage, die die Bibliothek mit dem 2. Obergeschoß verbindet.
Eine solche würde es uns ermöglichen, die Institute mit unseren News-Services, der Zustellung von wichtigen Dokumenten und der Übermittlung von dringenden Büchern sehr viel schneller und effizienter zu erreichen.
Weiters könnten die hierorts zahlreich vorhandenen Lüftungskanäle ihrer offenkundig eigentlichen Bestimmung zugeführt werden, die dem Architekten vorschwebte.  In Zeiten von gehäuften Hacker-Angriffen wäre eine solche Anlage auch abhörsicher und würden den Ansprüchen des Datenschutzes Rechnung tragen.
Und außerdem, bitteschön, hat das Parlament auch eine Rohrpost.
Ich bitte Sie, denken Sie darüber nach, wir haben einen ersten Entwurf für Sie gezeichnet.

Mit freundlichen Grüßen,
die Bibliothek

PS: Selbstverständlich könnte auch das Rektorat mit der Rohrpost serviciert werden.