Märchen, neu interpretiert

In letzter Zeit hat die EU-Reform des Urheberrechts um das Thema Uploadfilter zu vielen Debatten geführt, die selbst für Informationsprofis nur noch schwer zu entwirren sind: Während die einen sich vor  globaler Zensur durch Großkonzerne fürchten und für die „Freiheit des Internets“ sogar auf die Straße gehen,  sehen Journalisten, Autorinnen und Verlage die Chance heraufdämmern ihren Content im Netz besser gegen unrechtmäßige Verwertung zu schützen. Dass Regulierung nicht unbedingt immer etwas Schlechtes sein muss zeigt sich auch in anderen Lebens- und Rechtsbereichen, und da man als Bibliothekarin ja bekanntlich immer das Überzeitliche sehen soll, starte ich hier gleich mal eine neue Reihe, die sich den Themen der Zeit annehmen soll. Ich nenne sie „Märchen, neu interpretiert.“, und heute also

Der Datenfänger von Hameln

Es war einmal eine Stadt, nicht weit von hier, da lebte man glücklich und zufrieden. Und ohne Internet. Eines Tages kam ein Mann (wahrscheinlich war er ein Consulter), der schlug den Stadtoberen vor, dass sie doch ein flächendeckendes WLAN in der Stadt einrichten sollten. Er bot sich auch an dabei zu helfen, damit alle Menschen das Internet in einer gesicherten Form nutzen könnten. Aber er wollte dafür auch ein angemessenes Gehalt.

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Die Stadtoberen waren empört. Internet, so ein Unfug, sagten sie. Der will uns doch nur was andrehen! Sie jagten den Mann aus der Stadt. Im Weggehen verfluchte er die Bewohner und ihren Stursinn.

 

In der Stadt lebte man eine Zeitlang weiter friedlich vor sich hin. Bis eines Tages plötzlich die Säulen kamen.
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Die erste Säule stand am Marktplatz. Sie war eines Tages plötzlich da. Die Säulen boten kostenfreies WIFI an, und sie standen bald überall. Man musste sich nur mit seiner Mail-Adresse registrieren, dann konnte man das Internet kostenfrei nutzen.
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Die Leute waren begeistert.
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Sie scharten sich mit ihren Endgeräten um die Säulen wie Motten um das Licht, und nutzten fleißig das Internet. Dass sie dafür persönliche Daten an die Säulenbetreiber übermittelten, war ihnen egal, sie wollten schnelles Internet, möglichst überall.

Das Angebot an Säulen in der Stadt reichte bald nicht mehr aus, um den Bedarf zu befriedigen. Also baute ein großes Säulenunternehmen eine riesige Empfangssäule in ein nahe gelegenes Tal. (okay, Plot hole, aber in dem Tal war gut Platz dafür, okay?).

Auf der Suche nach schnellem Internet wurden die Leute immer maßloser. Sie starrten nur noch auf ihre mobilen Endgeräte, liefen ziellos auf der Suche nach Empfang durch die Stadt, und strauchelten über Steine und Sträucher. Auch waren sie sehr abhängig geworden, von ihren Säulen.

Eines Tages fiel ein Teil des Internets aus. In ihrer Panik stürmten die Leute in Richtung des Tals mit der großen Säule (sie streamten gerade alle eine wichtige Serie auf ihrem Gerät), es entstand eine Art Massenhysterie.

Hameln7Und so stolperten die Leute und fielen übereinander, sie stürzten alle in einer riesigen Schar hilflos in den Fluss im Tal hinunter, und ihre Endgeräte versanken am Grund des Gewässers.

hameln3Nach diesem unglücklichen Zwischenfall wurden die Säulen wieder abgebaut. Die Stadt lebte fortan wieder ohne Internet.
Hätten Sie doch, sagte man später. Hätten sie doch auf den Mann mit dem Internet gehört, dann hätte er sie nicht verflucht.

Und die Moral von der Geschicht? Tja, das ist schwer zu sagen, Datenschutz ist eine komplexe Sache, eine einfach Antwort gibt es nicht 🙂
Kompetente Mediennutzung ist aber immer eine gute Sache. Und das ist das Ende der Geschichte.