Leitfaden

Ein Leitfaden – Die Tücken des Gebrauchstexts

Wer einen Leitfaden für neue Mitarbeiter schreiben will, ist
schnell einmal in gewissen Nöten, ja emotional betroffen.
Man möchte in einer kleinen Broschüre einige sinnvolle Tipps zusammenstellen,
wichtige Ansprechpartner nennen, ein paar wenige relevante Informationen und
Kontakte, mehr nicht. So fängt es meistens an. Es ist wie mit diesen Hochzeiten
„im ganz kleinen Kreis“, von denen man erst wieder hört wenn in den Seitenblicken einer der „500 geladenen
internationalen Gäste“ zu Wort kommt.

Wenn man, und das gilt besonders im einigermaßen komplexen
Bibliotheksbereich, nur „eine kleine Broschüre“ schreiben will, sollte man sich
immer darüber im Klaren sein, dass man soeben damit begonnen hat auf 500 Seiten
DIE WELT ZU ERKLÄREN.  
Ich hatte in den letzten Wochen die Freude an einem solchen Leitfaden
mitzuarbeiten, und habe einige Erfahrungen zu Papier gebracht.

 1. Das Format: A5
Tun Sie es nicht. Kleine Broschüren mögen handlich wirken, aber für Layout
und Grafik sind A5 Formate der reinste Horror, und selbst bei äußerster
Konzentration des Inhalts wird man selten ein Ergebnis erhalten, das in seiner
Erscheinung nicht irgendwie einem völlig überladenen Barockgemälde gleicht.

2. Uns, mich, mir, mein
– Ansprechpartner ohne Zahl
Im akademischen Bereich gilt es, warum auch immer, als eher unschicklich in Texten
das eigene „Ich“ und „wir“ zu prominent in den Vordergrund zu stellen. Die Möglichkeiten
dies elegant zu umschiffen führen dabei teilweise zu eher interessanten
Satzkonstruktionen: Von sich selbst in der dritten Person zu sprechen ist nur
eine davon.  

3. Östlich, westlich,
südlich: Himmelsrichtungen sind Glückssache

Rechts vom Eingang,
rechts neben dem Eingang, rechts nach dem Eingang, gegenüber dem Eingang..
Ortsangaben sind die eigentliche Königsdisziplin. Bedeutet „Rechts vom
Eingang“, dass man außerhalb des Gebäudes steht, oder soll man dieses betreten
und sodann rechts abbiegen? Wo genau endet der „Eingangsbereich“: – Stellt sich
der Nutzer hier den Glasdurchgang vor, durch den man zur Eingangstüre gelangt, oder
handelt es sich vielmehr um den vorderen Teil der Bibliothek. Ebenso unklar ist
die Frage, wie man den „hinteren Teil der Bibliothek“ am besten bezeichnen
soll.
Wir haben, unter vielen anderen Varianten, für unsere Zeitschriftenhalde die Bezeichnung „im östlichen Teil
der Bibliothek“ erwogen, diese aber aus Gründen der Anwendungsfreundlichkeit
wieder verworfen.
Die meisten Menschen wissen nämlich gar nicht so genau wo Osten ist, auch wenn
sie es nicht  zugeben würden.
Die Rückgabebox, eines unserer wichtigsten Services, steht jedenfalls im
vorderen Bereich der Bibliothek, den wir als „Eingangsbereich“ verstehen. In
Extremfällen mündet der Wunsch, das „wo“ einer Sache möglichst klar auf den
Punkt zu bringen, in absoluten Nulldestinationen, wie „vor Ort“.  

4. Sie da, hören Sie mal!

Man will höflich bleiben, adressiert man doch qualifiziertes
Fachpersonal und geschätzte Kunden. Aber ein gewisser imperativer Tonfall lässt
sich doch nicht vermeiden; schließlich will man dass die Leute auch tun, was
man ihnen empfiehlt. In diesem Spagat entwickelt jeder, der häufiger mit
solchen Texten befasst ist, schnell und ganz zwangsläufig ein Repertoire schizophrener
Formulierungen, die auf jene ganz bestimmte, höfliche Art und Weise
Unmissverständliches kundtun.

Bedenken Sie, dass
und
Beachten Sie bitte, sind erprobte
Formulierungen, und bedenken Sie auch bitte, jedes
müssen Sie“ darauf zu prüfen, ob es
nicht auch das etwas sanftere „können Sie
tut.

Die hohe Kunst der verbindlichen Unverbindlichkeit gipfelt bei Profis des
Genres in Sätzen wie:
„Ich darf Sie jetzt herzlich dazu einladen,
mein Büro zu verlassen.“

5. Details finden Sie
Sparen Sie sich die Details, Details machen bloß Angst. Wer eine Broschüre
überhaupt bis zu diesem Punkt gelesen hat, wird spätestens bei dem Stichwort
„Details“ die Nerven verlieren. Sollen Details unbedingt vorkommen, ist man gut
beraten sie unter einem möglichst unverfänglichen Header zu verstecken, zB in „Allgemeines“.

6. Die Grundsätzlichkeit
der Dinge
Es ist nicht grundsätzlich falsch das Wort „Grundsätzlich“ zu gebrauchen,
allerdings verwendet man es grundsätzlich zu oft. Das Wort „Grundsätzlich“
zeigt in solchen Broschüren immer an, dass sogleich eine Fülle von Ausnahmen
aufgezählt werden wird. Die Ausnahmen von der Regel folgen dabei dem Schema der
Radio Eriwan Witze:

„Ist es richtig, dass allen
Nutzern im Scanner-Raum auch ein Kopierer zur Verfügung steht?“
„Im Prinzip ja.
-Nur dass es kein Kopierer ist, sondern ein Multifunktionsgerät.
-Und es steht auch nicht im Scannerraum, sondern in einem geheimen Raum.
-Und dieser ist nur für MitarbeiterInnen zugänglich.“

Grundsätzlich ist dieser Aussage daher zuzustimmen. 


7. Es hängt alles mit allem zusammen

Werden ganze Absätze gestrichen, ist immer ein gewisser Dominostein-Effekt
einzukalkulieren: Ein Text-Problem das an einer Stelle gelöst wird, wird
zuverlässig an anderer Stelle im Text ein neues Problem verursachen. Machen Sie
sich trotzdem keine allzu großen Sorgen über die Gliederung, denn: Es hängt alles mit allem zusammen.

8. Wiederholungen:
Nägel, Köpfe und das Hammerproblem
Auch nach der 5. Und 6. Feedback-Runde möchte man nicht glauben, was die
Wahrheit ist: Man neigt dazu zu schwadronieren. Selbst wenn man denkt, man hätte
bereits alle Wiederholungen restlos aus dem Text entfernt, finden sich immer
wieder aha-Momente der Sorte „da hamma das ja NOCH mal geschrieben!“. – Hase und Igel. Lassen Sie
daher die Broschüre unbedingt von jemandem gegenlesen, der pragmatisch denkt und so wenig wie möglich
Ahnung von der Materie hat, am besten von einem schweizerischen Sportverein.

9. Kill your Darlings
In
projektbetonten Betrieben gibt es zusätzlich ein Phänomen, das wir die „Überalligkeit
der Lieblinge“ nennen können: Wer einen Hammer in der Hand hat, für den sieht alles aus wie ein Nagel. Projekte und Services, auf die man aktuell gerade
besonders stolz ist, wie unser Service KONTAKTBIBLIOTHEKAR oder den
E-LEARNING-BEREICH, neigt man dazu an jedem Eck und Ende anzuführen. Auch dort
wo es überhaupt keinen Sinn ergibt. Achten Sie mal drauf!
Mehr dazu übrigens in unserem elearning-Bereich:
https://learn.wu.ac.at/bibliothek/

Fazit: Vor Ort
Falls Sie das alles etwas verwirrend finden, zu umfassend,
oder schlicht zu wenig informativ: Beachten Sie bitte, dass die Obgenannte
gerne auch persönlich Auskunft gibt. Sie finden mich vor Ort, im östlichen Teil der Bibliothek, gegenüber des Eingangs, in
der roten Rückgabebox.

All advocates are equal. But some are more equal.

“Sehr geehrte Eltern von Konstantin!

 durch ein bedauerliches Missverständnis ist Ihnen ein Brief
übermittelt worden, der so unser Haus niemals verlassen hätte dürfen;
betrachten Sie ihn daher bitte als gegenstandslos.
Die junge Kollegin, die ihn schrieb, war in Unkenntnis über das enge
traditionsreiche Band, das Ihre Familie mit unserem Haus verbindet, wissen wir
doch alle dass schon weiland Konstantin Senior, der ehrwürdige Hofrat Dr. Dings
ein allseits geschätzter Studiosus an dieser Anstalt war! Hätte die junge Kollegin
um die ehrbare Familie unseres lieben Konstantin gewusst, sie wäre gewiss
niemals auf einen solch lachhaften Schabernack verfallen und es ist alleine
ihrer mangelnden Erfahrung geschuldet, dass Sie, geschätzte Eltern, dieser
schändlichen Zeilen überhaupt angesichtig werden mussten. Die Kollegin wurde
bereits in eine Abteilung versetzt, in der sie keinen Schaden mehr anrichten
kann.

 Keinesfalls wollten wir in irgendeiner Form andeuten, das
Verhalten Ihres Sohnes wäre auch nur im Geringsten nicht standesgemäß oder
unpassend!
Seine gewiss wohl in manchen Büchern aufgefundenen Notizen als „Schmiererei“ zu
interpretieren, konnte nur einem völligen ungebildeten Laien der modernen Kunst
unterlaufen, der die offensichtlichen graphischen Begabungen Ihres Sohnes
Konstantin grausam verkennt. Es würde uns im Traum nicht einfallen, dem Genius Ihres
Sohnes durch kleingeistige Regeln irgendwelche Beschränkungen aufzuerlegen
– er ist ganz offensichtlich hochbegabt.

Auch ist es der ungestümen Jugend schwerlich zu verübeln, wenn sie in einem
gewissen verständlichen Überschwange einmal das korrekte Einparkieren des väterlichen
Wagens forschen Mutes an Subalterne delegiert, oder im ritterlichen Wettstreit
mit Kommilitonen um das juristische Material auf wohlerworbenene familiäre
Vorrechte pocht, allein:
der wissenschaftliche Eifer und das Streben zu höheren
juristischen Ämtern entschuldigt alle Mittel!

Und wer wollte es einem jungen aufstrebenden Kandidat des
Anwaltsamtes verübeln, wenn er das geschickte Verhandeln und die rhetorischen
Stilmittel auch im hitzigen Telefongespräch schulte, auch und gerade in der
Bibliothek, nicht wahr? 🙂

Wir entschuldigen uns nochmals aufrichtig für das peinliche Missgeschick, und
wünschen Ihrem Sohn weiterhin nur das Allerbeste auf seinem beruflichen
Werdegang; er wird gewiss ein charakterstarker Jurist von Format.
Ganz herzlich bedanken möchten wir uns im Namen aller KollegInnen für die
äußerst großzügige Spende aus Ihrer Privatstiftung, die Sie unserer Bibliothek
zuteil werden ließen.
Wir werden Ihrer eingedenk stets mit
Stolz und Dankbarkeit auf die silberne Ehrentafel blicken.
mit freundlichen Grüßen,
in Demut.
die Bibliotheksleitung

Über die Unüberschaubarkeit der Materie

So gut wie alle juristischen Textsorten beginnen mit einem Hinweis darauf, dass das behandelte Rechtsgebiet aber auch wirklich eine der komplexesten und schwierigsten Materien überhaupt ist. Das traurige ist: Meistens stimmt das sogar.

Als Rechtsreferenten unterscheiden wir unsere Gebiete traditionell in:

  • okay, aber ein bisschen fad (Wasser- und Umweltfragen, Zivilprozess, klassisches Strafrecht)
  • äußerst anspruchsvoll mit gewissen Bandbreiten (Steuerrecht, Versicherungen, Vergaberecht, Mietrecht, IPRG Kegelsche Leiter)
  • völlig wahnsinnig, kennen sich nur Verrückte mit aus (Schulkompetenzen der Länder und des Bundes, Asylrecht, Vergleichende Bauordnungen)

Loseblattsammlungen

Jedes Jahr vor der Ferienzeit werden zahlreiche verwahrloste Loseblattsammlungen von ihren überforderten Besitzern in Bibliotheken ausgesetzt. Haben Sie ein Herz und übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Lieblinge.

Wer immer mit Loseblattsammlungen zu tun hat, kann nur
schwer verkennen,
dass es sich bei dieser Mediensorte im Grunde um so etwas wie sehr unerzogene
und gewaltbereite Haustiere handelt:

Zunächst mal muss man sie ständig füttern, sonst Problem.
Bevor man das aber tun kann, muss man die herumstreunenden Mappen erst einmal
suchen und mühsam einfangen, weil sie zum ziellosen Herumflottieren (beim
Institutspersonal) neigen, anstatt an ihrem Platz zu bleiben.

(Das akademische Personal weiß längst, dass Loseblätter nur
bei einigermaßen exklusiver Nutzung wirklich zu gebrauchen sind, und schützt
sie vor Zugriff durch die üblichen Ausreden („müssen Kommentar überarbeiten,
Verlag wartet dringend auf korrigierte Druckfahne..“ etc.).
Voller Neid blickt daher das Bibliothekspersonal in die Gerichts- und Behördenbibliotheken,
wo ein gelobtes Land voller verfügbarer, gut gepflegter Bestände ohne der
schädlichen Einwirkung von studentischen Nutzern vermutet wird.

Wie Haustierbesitzer, die vor der Ferienzeit ihres Lieblings überdrüssig
werden, setzt denn auch der Wissenschaftler und die Wissenschaftlerin die
Loseblattsammlung pünktlich vor den Ferienmonaten in der Bibliothek aus, wo sie
mit etwas Glück von aufmerksamem Bibliothekspersonal gefunden und bis zum Semesterbeginn
mühsam wieder hochgepäppelt werden kann. Das Institutspersonal ist in den
Ferienzeiten selten durchgängig vorhanden, und weiß dass eintrudelnde
Ergänzungslieferungen kaum zeitig eingelegt werden würden, da soll sich lieber
ein Fachmann drum kümmern, die Bibliothek oder sonst ein armer Teufel, und
überhaupt hat man angesichts des kruden Blattwerkes schon vor längerer Zeit die
Nerven verloren.  
Die Bibliothek dient hier gewissermaßen als Autobahnraststätte unter den
Literaturorten: Zur Stauzeit chronisch überlaufen und etwas abgeranzt, dennoch
mit einem großen Herz für verlorene Seelen..

Weitere Parallelen zwischen Loseblattsammlungen und wilden
Tieren:

-Hat Klauen und Zähne, tut weh wenn beißt
-verschlingt Unsummen an Geld
-Braucht viel Pflege und Zuwendung
(letzter Punkt besonders wenn alt)

Chaos

Das Bibliotheksgericht zeigt sich höchst besorgt über den Sittenverfall seiner Nutzerinnen und Nutzer.
Arbeitsliteratur wird aus anderen Fachreferaten zugezogen.
Auszüge aus dem Protokoll

1. Aus Verschmutzungsgründen werden Nutzer während des anhaltenden Winterwetters durch einen Kreisverkehr aus Fußabtretern geleitet, bevor sie die Bibliothek betreten dürfen. Der Verkehr wird durch den/die Diensthabende geregelt, es sind Warnwesten und Trillerpfeifen beizustellen.

2. Zur Auslegung des Begriffes “Laptop-Tasche”:
Übergroße Laptop-Taschen werden nicht mehr toleriert. Wenn ein Bügelbrett drin Platz hat, ist es keine Laptop-Tasche.

3. Aufgrund der sich häufenden Diebstahlsversuche ist wieder vermehrt auf die “Jacken-Policy” hinzuweisen. Grundsätzlich sind Jacken vor Betreten der Bibliothek in den Schließfächern abzulegen. Soll die Jacke aus sachlichen Gründen (es ist zu kalt) anbehalten werden, muss sie aber auch getragen werden. Nutzer, die zu einem späteren Zeitpunkt mit ausgezogener Jacke angetroffen werden, sind zu einem kindergartenpädagogischen Gespräch mit der Bibliotheksleitung zu beordern.

4. Eine wirtschaftliche Effizienz-Analyse hat ergeben, dass der am stärksten störende und ressourcenbindende Faktor der Bibliothek die NutzerInnen sind.
In einem nächsten Schritt soll dem Rektorat vorgeschlagen werden, den Betrieb versuchsweise ohne Nutzer abzuhalten. Es darf davon ausgegangen werden, dass diese Form des Betriebs viele Vorteile hätte:
-Bestand wird geschont
-Verschmutzung bleibt aus
-Zeit für eigentliche Arbeit wird frei
-Ressourcen könnten anderweitig sinnvoll eingesetzt werden

und und und…

Besprechung

“Also wegen dieser Änderung im Bestellsystem..wir sollten
keine große Sache draus machen…..Vielleicht eine kurze Besprechung, damit alle Bescheid
wissen, nur mit denen, die es unmittelbar betrifft.”

“In 15 Minuten haben wir das doch durchbesprochen.”

“Sowieso. Allerdings brauchen wir vielleicht schon jemand vom Medienmanagement…”
“Ja, das Medienmanagement muss dabei sein. Im Grunde auch die Leitung vom
Bestandsmanagement…”
“Und die Erwerbung, also die müssen schon auf jeden Fall ihre Einschätzung
geben, weil die betrifft es ja ganz unmittelbar!”

“Wahrscheinlich sollten auch 1 oder 2 Systembibliothekare zugezogen werden?
Wegen der Datenlage.
Und die Kontaktbibliothekare der Institute.”

“Ja, vermutlich..Gut nehmen wir von denen noch jeweils eine Person, das reicht
dann aber wirklich.”

“Jemand von der Adjustierung soll sich das am Schluss mal anschauen. Das
kann man auch nicht außen vorlassen. Wegen der Kennzeichnung.
Wenn wir in diesen neuen workflow die Campuslieferdienste
miteinbeziehen ist dort das Nadelöhr.”

“Und wegen der Lieferungen – Ob nicht gleich jemand auch aus
dem Controlling dazu kommen sollte? Wegen der Rechnungswege, das ist nicht
unheikel.”

“Wunderbar! Dann sollen die das Vizerektorat gleich
mitbringen, und jemanden vom Marketing.”

“Am besten geben wir dann sofort ein kurzes Statement an die Presse raus, damit
das alles schön transparent ist.”

“..Die Presseleute sind heute sicher alle im Bundeskanzleramt und berichten von der
Sitzung…”

“Sollen wir uns dann nicht gleich alle dort treffen?”
“Passt. Ich miete den Bus.”

Über das Gelingen der Bibliothekratie

Dass Bibliothekare wahnsinnig werden, ist genau genommen keine Seltenheit und auch nichts besonders Bemerkenswertes. Als Juristische Bibliothek arbeiten wir nicht nur täglich in gleich doppelter Hinsicht mit Geboten und Normen, auch gibt es im Hause eine gewisse Personalunion mit obersten gerichtlichen Behörden, und so erstaunt es nicht, dass wir uns über die Jahre hinweg mittlerweile im Grunde selbst als eine Art von Behörde ansehen.

Der Alltag in einer Bibliothek ist in vielerlei Hinsicht von Regeln und Ordnungen geprägt, die wir immer wieder neu gestalten und fortentwickeln, und so hoffen wir letztlich selbst einen Beitrag zum juristischen und gesellschaftlichen Diskurs zu leisten, zur Wahrung der Demokratie, der Nutzerinteressen und des guten Humors.

Auch im Jahr 2016 konnten wieder große Entwicklungsschritte auf diesem Weg gegangen werden.

So wurde nicht nur ein lange entbehrtes Bibliotheksgericht als oberste Bibliotheksbehörde eingerichtet, das sich mit der Anfechtung von und Ahndung von schweren Entlehnvergehen befasst. Auch wurde äquivalent zur Volksanwaltschaft eine Bibliotheksanwaltschaft ins Leben gerufen, welche die besonders zu schützenden Nutzerinteressen wahrnimmt.

Und schließlich erhielt mit dem Amte der Bibliothekspräsidentin unser Bestand ein wichtiges oberstes Organ, das fortan an der Spitze der Bibliothekratie stehen soll, und wichtige Funktionen wie zB den Erlass von Entlehn-Amnestien wahrnimmt.  Nicht unerwähnt bleiben sollen auch gesetzliche Neuerungen und Maßnahmen von weitreichender Bedeutung, wie etwa die Einführung des gelben Laufzettels, der Beschluss über die Fußfessel für den Kodex und die Durchführungsverordnung zur akkordierten Rückaktion.

Ein Überblick über die wichtigsten Gesetze, Entscheidungen und Geschäftsgänge, die das Bibliotheksgericht im Jahr 2016 beschäftigten soll hier in einer Art Geschäftsbericht vorgelegt sein.

Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren II

Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren.

Sie tragen Titel wie „Recht und Moral“, „Zukunft des Geistes“ oder „Gegenwart und Krise“, und erfreuen sich gerade in den Rechtswissenschaften einer geradezu empörenden Verbreitung:
Die Rede ist von den Festschriften.

Die in aller Regel sehr poetischen Titel sollen vor allem von der Tatsache ablenken, dass es sich hier um eine völlig willkürliche und wilde Zusammenstellung von Texten handelt, die nur mit äußerster Kreativität unter irgendeinen thematischen Nenner gebracht werden kann. Gelegentlich wird das Werk noch mit einem kryptischen zusätzlichen Formaltitel versehen („Handbuch für…“/“Kompendium des..“), der eigentlich nur dazu dient, Bibliothekare zu ärgern.

Alle paar Jubeljahre (Autoren und Autorinnen werden schließlich älter), findet sich also ein mehr oder weniger planvoll gewonnenes Kollektiv von Beitragenden vor der Aufgabe wieder, eine Festgabe für den Gefeierten mit ihren Aufsätzen zu bereichern.

Verlag und Herausgeber und alle anderen Beteiligten (nicht zuletzt die leidtragenden Assistenten) trifft in diesem Fall besonderer Zeitdruck: Eine Deadline in Form des  Jubiläumssymposiums naht heran, die Geburtstagsfeier oder irgendein ähnliches Trara, bei dem das Buch präsentiert werden soll (und muss!). Dass es unter den konzeptionellen Umständen überhaupt noch einem Verlag gelingt eine Festschrift rechtzeitig zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, geschieht immer wieder und muss eigentlich erstaunen.

Es gibt unter den Festschriften solche, die sprühen vor brillianten Beiträgen und wissenschaftlichen Perlen, welche lange Zeit später noch als vielzitierte Gassenhauer im Diskurs bleiben.

Andere Festschriften erwecken eher den Eindruck eines Orchideengartens voller verschreckter Pflänzchen, die sich mehr oder weniger ratlos über die Gesellschaft in die sie hier geraten sind, gegenüberstehen.

Festschriften geben einem oftmals Rätsel auf, nicht zuletzt deren Titel und ihr Zustandekommen. Einen genauen Blick belohnt oft auch das Vorwort einer Festschrift, wo nicht selten in selbstironischer Form auf den Entstehungsprozess reflektiert und die gefeierte Person in humoristischer Form aufs Korn genommen wird.

Sie lesen im Folgenden davon, wie das, denn anders ist es nicht zu erklären, aller Wahrscheinlichkeit hinter den Kulissen ablaufen muss, um ein solches Endprodukt zu erklären.

Versuchen Sie übrigens gar nicht erst mit Studierenden über Festschriften zu sprechen: Die Studenten von heute wissen nicht mehr was das ist, Vergleiche wie „Facebook in gedruckt“ oder „Poesiealbum für Erwachsene“ überzeugen nicht, und bleiben weit hinter der Realität zurück

Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren I

Die Festschrift für Herrn Hommel

31. März:
Der Verlag Kiepnauer und Bortlesburg erinnert Prof. Börkenföller an den
ausständigen Aufsatz, Arbeitstitel „Intrasystematische Fortentwicklung in Zeiten
der Globalisierung – eine Problematisierung der autopoietischen Krise “.
Erscheinen soll dieser in der Festschrift mit dem Titel „Perspektiven des
Rechts in der Gegenwart – Festschrift für Peter Hommel zum 60. Geburtstag“
(Erscheinungstermin 1.6.!!)

Minuten später erreicht den Verlag
folgende Abwesenheitsnotiz:
„Ich befinde mich bis Ende Juni auf einem Forschungsaufenthalt in den USA und
werde ihre Nachricht nach meiner Rückkehr beantworten. mfG R. Börkenföller“

1. -15. April: Ein
inzwischen mit dem Problem betrautes AssistentInnen-Kollektiv urgiert weitere
Beiträge bei Frau Prof. Oberhaltrhein, und den Stiftungsbeiräten der
Rechtsvergleichenden Gesellschaft, Prof. Borsenruther und Prof. Alwarter.

20. April: Die
Universität von Frau Prof. Oberhaltrhein lässt ausrichten, dass die
Lehrstuhlinhaberin bereits mit Jahresanfang emeritiert ist und sich auf
unabsehbare Zeit auf einem Anschluss-Sabbaticaljahr in Indien aufhält, wo sie
für Verlag und Universität nicht erreichbar ist.
Mit ihrem Beitrag zur Festschrift kann mithin nicht gerechnet werden.

Der Verlag kontaktiert einige AutorInnen aus der „zweiten Reihe“, und kann als
Ersatz für Prof. Oberhaltrhein einen Autor gewinnen, der zwar nicht direkt
rechtsvergleichend tätig ist, und genau genommen auch kein studierter Jurist, auch
hat er von Peter Hommel noch nie gehört, versichert aber zumindest die
Einreichfrist für Beiträge einzuhalten.

3. Mai: Die
Stiftungsbeiräte der Rechtsvergleichenden Gesellschaft, Prof. Borsenruther und
Prof. Alwarter reichen zeitgleich ihre Beiträge zur Festschrift ein, die sich beide
einer jüngsten Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes widmen, wobei die
Aufsätze zu den selben 3 Kernthesen gelangen und auch bis auf
wenige stilistische Details nur schwer voneinander zu unterscheiden sind.

4. Mai: Im
Verlag Wallenhuber Rückberg erscheint eine Festschrift, beinhaltend einen Aufsatz
von Prof. Börkenföller mit dem Titel „Intrasystematische Fortentwicklung in
Zeiten der Globalisierung – eine Problematisierung der autopoietischen Krise “.
Dem Verlag Kiepnauer und Bortesburg und den für die Sache zuständigen
Assistenten kommt der Text seltsam bekannt vor, er liegt als  Rohfassung für die im Juni erscheinende
Festschrift Hommel in einem Ordner „Fixierte Beiträge“.
Der Autor wird kontaktiert: Ob er unter den gegebenen Umständen bereit wäre
seinen Beitrag für die Festschrift Hommel geringfügig umzuändern und den Titel
entsprechend abzuwandeln?
Der Autor erhebt Einwände..Man könne doch nicht..
Man kann.

6. Mai: Prof. Börkenföller übersendet fristgerecht seinen Aufsatz, der nun auch
einen kleinen Exkurs über die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit beinhaltet. Er
trägt nunmehr den Titel:
„Kritische Systematik. Über die globalen Probleme der Entwicklung.“

20. Mai, Druckschluss:
Weitere Autoren aus dem Autorenkollektiv sind abgesprungen, die bisher
vorliegenden 4 Beiträge wurden aus diesem Grund auf jeweils 90 Seiten ausgearbeitet.
Vor diesem Hintergrund wird im Verlag diskutiert ob man das Werk überhaupt noch
als „Festschrift“ im eigentlichen Sinne bezeichnen könne?
Zusatzttitel wie „4 Essays zur Rechtsdynamik“ oder “Rechtsprechungsübersicht
2016 BfinG“ werden diskutiert.

1. Juni: Die Festschrift erscheint pünktlich zum Jubiläums-Symposium zu Ehren
Peter Hommel.
Sie trägt den Titel:
„Die Gegenwart der Krise – 4 Beiträge für Peter Hommel zum 60. Geburtstag.
Lehrbuch Finanzrecht“

Poesie des Alltags: Die Abwesenheitsnotiz

“Seht her: Ich kann zwar nicht hier unter Euch sein, aber ich habe euch etwas hinterlassen, an dem ihr Euch orientieren könnt, und das Euch wissen lässt dass ich in Gedanken immer ganz bei Euch bin.”

Poesie des Alltags: Die
Abwesenheitsnotiz

Wer immer in einer Dienstleistungseinheit arbeitet kennt die geheime Poesie der
Abwesenheitsnotiz.
Seit Computer es ermöglichen automatische Antworten an alle (ja, wirklich alle)
Leute zu verschicken ist unsere Welt schöner geworden, lebendiger, bereichert
um intime Einblicke in das Leben unserer Zeitgenossen.
Die Abwesenheitsnachricht hat etwas Metaphysisches: Seht her: Ich kann zwar
nicht hier unter Euch sein, aber ich habe euch etwas hinterlassen, an dem ihr
Euch orientieren könnt, und das Euch wissen lässt dass ich in Gedanken immer
ganz bei Euch bin.
Egal ob Sie hemmungslos protzen wollen, oder einfach nur nur geschickt davon
ablenken, dass Sie den Rest des Jahres eigentlich auch nicht wirklich erreichbar
sind: Hier ist für jeden was dabei.

 

Puristisch
Ich bin nicht da. Ihre Nachrichten
werden weder gelesen noch weitergeleitet. Bestimmt nicht.

Befehlskaskaden: Das
verrückte Labyrinth:
„Ich bin bis inklusive 26.7. nicht in
meinem Büro und kann auch Nachrichten nur sporadisch abrufen.
In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an Herrn Schuster unter der DW 5555
zwischen dem 1.und 15. Juni, sollte er nicht erreichbar sein und zwischen 7.
Und 15. Juni ist seine Vertretung in der Zeit Heike Messner unter der DW 4444,
im Nebenzimmer.
Zwischen 15. Und 20. Juni schreiben Sie uns bitte gar nicht, da alle auf Urlaub
sind und auch das allgemeine Sekretariat keine Anfragen entgegennehmen kann.
Wir bitten um Ihr Verständnis.“
Was uns der Verfasser sagen wollte:
Lass es.

Der Knaller kommt am
Schluss
„Ich bin bis inklusive 27. 6. zu
Forschungszwecken auf Papua Neuguinea.“

/auf den Lofoten/Giebelspfütz an der
Plautze/anderer möglichst exotischer Ortsname (darf auch erfunden sein).
Was wollte uns der Verfasser sagen: „nä-nä nä-nä näääh-nääää!!“

Ehrlichkeit und
Transparenz

Sie finden mich vom 1. bis 3. März hier:
dasistderlinkvomcoolenkongress

Zunehmend beliebt wird diese Variante.
Für besonders Mutige: Hängen Sie ein Selfie an, auf dem Sie mit Strohhut zu
sehen sind.

Was wollte uns der Verfasser sagen: Ich habe nichts zu
verbergen.

Abenteuer Urlaub
I am travelling along the east coast
of south corea and
will not be able to check my emails until Sept 30.
Was wollte uns der Verfasser sagen:
Mein akademisches Leben ist ja nur die armselige Tarnung für meine freie, wilde
Piratenseele, harr harr!

Pflichtbewusst
„Ich werde mich bemühen Ihre Anfrage umgehend nach meiner Rückkehr zu beantworten.“
Tipp: Machen Sie keine Versprechen die sie nicht halten können, oder wollen.

Soll man für die Nachricht danken? Viele Abwesenheitsnotizen
beginnen mit dem Satz „Vielen Dank für Ihre Nachricht!“. Wir finden das eigentlich
unangemessen. Halten Sie es lieber mit der Haltung gewisser Wiener
Wirtshauskellner und lassen Sie einmal im Jahr sich und alle anderen spüren wo
Ihre Prioritäten gerade liegen 🙂