Lernprozesse

raubüberfall2

Die letzten Monate waren nicht einfach. Wir haben uns bemüht aus Allem etwas zu lernen. Dennoch sind wir froh, dass jetzt wieder da und dort der vertraute Betrieb aufgenommen werden kann. Eine ungeordnete Rückschau.

Videokonferenz

kontrolle
„Es dauerte eine Weile, bis wir merkten, dass die Sache außer Kontrolle geraten war.“

Zur Kommunikation in diesen wilden Zeiten, habe ich an anderer Stelle schon mehr gesagt. Und auch der Moral unserer wissenschaftlichen Mitarbeiter hat die neue Situation nicht immer gut getan..

Maskierter Raubüberfall

raubüberfall
„Vermisst wird Band 2, Teilband 1 des Kommentars zum Bundesverfassungsrecht. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Die Bibliothek bittet um sachdienliche Hinweise.“

 

Zurückgekehrt an unsere alte Arbeitsstätte mussten wir schließlich feststellen: Auch die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht birgt ihre Tücken.

Maskenpflicht

 

maskenpflicht

 

 

 

 

Ersitzung – über den Schlaf des Nutzers

Anfang des Jahres konnten wir diese orangenen Sessel für unsere Bibliothek ergattern, die ursprünglich in der Bibliothek für Sprachen standen. Ehrlicherweise muss man gestehen, dass sie besser ausschauen, als sie sich anfühlen. Trotzdem hatten wir es uns schön gedacht, dass man darin in unserem Zeitschriftenbereich zumindest kurz sitzen und schmökern könnte. Aufgrund von Corona sitzt vorerst jetzt allerdings niemand darin.

Bibliotheksmöbel: Den Seinen gibts der Herr im Schlafe

Bibliotheksmöbel sind sowieso so ein eigenes Thema: Sie dürfen nicht zu bequem sein, weil man sonst darin wegpennt, gleichzeitig will man nicht das Gefühl haben auf einem Brett zu sitzen. Es gibt breit angelegte Nutzerstudien dazu, die sich damit beschäftigen, warum manche Einrichtung funktioniert, und andere nicht. Polster, Sitzsäcke und Liegen zB sind vielen Leuten schon zu bequem, andere lassen sich dennoch gern für ein Nickerchen hinein sinken. Irritierenderweise lassen sich die Nutzerinnen in unseren Bibliotheken bevorzugt an Orten nieder, die dazu überhaupt nicht einladen, und ich habe mir sagen lassen, dass das auch andere Bibliotheken beobachten.
Vor Zeiten wurde testweise sogar ein richtiges Bett, oder sagen wir: So eine Art große Schlafcouch in eine unserer Lounges gestellt. Das Möbel blieb aber ungenutzt, es war den Leuten einfach zu intim, oder sie suchten eine solche Ruhestätte jedenfalls nicht in der Bibliothek auf. Nun braucht man nicht zu glauben, dass unsere Nutzer deswegen nicht schlafen würden, sie tun es nur bevorzugt an unbequemeren Orten, halb im Sitzen vor einem Schreibtisch, oder mit dem Kopf aus selbigem. Schon deutlich besser funktionieren für diesen Zweck halboffene Kojen und Schalensessel. Letztlich ist die optimale Ruheposition wohl eine, in der zumindest die Illusion aufrecht bleibt, man rezipiere und sauge hier halbschlafend Wissen aus der Atmosphäre der Bibliothek..

Minotaurus

minothaurus
„Also, Sie folgen einfach der roten Schnur bis zu den Regalen zum Internationalen Privatrecht, ab da sollten die Bodenmarkierungen gut erkennbar sein, und an der Abzweigung zum Europarecht steht eine Kerze, die einen Pfeil beleuchtet. Dem folgen Sie, und der Rest ist dann ein Kinderspiel. Aja, und irgendwo rennt hier so ein Typ mit Stierkopf herum, lassen Sie sich davon nicht irritieren, das ist nur der Mann von der internen Revision..“ 
Bibliothekare waren von jeher gut darin, komplexe Orientierungssysteme zu beherrschen.

Bibliotheken und Science Fiction

Es gibt ein Thema, das hier noch viel zu wenig besprochen wurde, und das ist der Zusammenhang zwischen Bibliotheken und Science Fiction: Bibliotheken sind mit all ihren digitalen und papiernen Tentakeln ein geheimnisvoller Kosmos, der sich offenbar hervorragend als Setting für Science Fiction Filme eignet. Auch an unserer Universität wurden schon mehrere Filme gedreht, die in diese Sparte fallen – die Architektur moderner Bibliotheksbauten kommt dem sehr entgegen. Glücklicherweise wurde an unserem Campus dafür eine Spielwiese aus Sichtbeton und Glas geschaffen, die das Herz jedes SciFi Regisseurs höher schlagen lässt.

Orwellsche Bilderwelten

Die Trailer zu den Filmen finden sich übrigens ganz unten im Anschluss an diesen Text. Wer sie anschaut, wird feststellen dass hier an der Wirtschaftsuni eher das Abseitige inszeniert wird: In „Mindgamers“ treten menschliche Roboter gegeneinander zum Kampf an, in „Life Guidance“ überwacht und erzieht der Staat seine Bürger durch digitale Technologien, was insgesamt doch sehr an „Brave new world“ erinnert. Im Tatort „Schock“ geht es weniger metaphysisch zu, aber immerhin gibt es ein Netzwerk radikaler Aktivisten. Studenten zerbrechen hier an den perfektionistischen Erwartungen einer Leistungsgesellschaft, in Gestalt einer Professorin mit eher bizarrem Charakter (Mercedes Echerer). In „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ ist der Name Programm, es gibt viel mystisches Schneegestöber und abgründige Dialoge.

Die Bibliothek an der Grenze zur Realität

Das gemeinsame Element in diesen Filmen ist ihr Bezug zur Realität, sie alle stellen die Frage nach einer scheinbaren „Norm“, der der Mensch entsprechen soll : Es geht um Leistungsdruck, soziale Kälte, Gedankenkontrolle und technische Perfektion. Die Protagonisten dieser Dystopien (Florian Teichtmeister, Fritz Karl,  Lars Eidinger) sind denn auch eher in Grenzspektren der menschlichen Psyche angesiedelt: Es sind Paranoide, Getriebene, Systemerhalter, Narzissten und Karrieristen. Ob das nun so schmeichelhaft für den Bibliotheksbau ist, in dem wir arbeiten.. Nunja, das Normale sieht jedenfalls anders aus.

Der Bibliothekar als Revolutionär: Chronisten für das Unbegreifliche

Neben der Kulisse der Bibliothek eignet sich auch ihr Personal hervorragend um Zukunftsvisionen zu transportieren: Der Bibliothekar und die Bibliothekarin als solche sind glaubwürdige Protagonisten für das Andere, das Unbegreifliche: Unterwegs im Informationsdschungel hantieren sie mit ihren Barcodelesern, die aussehen wie Laserpistolen, tragen nerdige Brillen,  manipulieren mit Daten herum, und wirken dabei selten so richtig bodenverhaftet, was uns grundsätzlich zugänglich für Suspense jeder Sorte macht.

space law
„Hier scheint es stabiles WLAN gegeben zu haben…und eine Art Sammlung von..kollektivem Wissen..“.
-„Wahrscheinlich eine Art Tempel oder Kultstätte..hier haben sie wohl ihre Gottheiten verehrt..“.
 

Oben sieht man übrigens unser Library Center, aufgrund der Bauweise liebevoll auch „Raumschiff“ genannt. So verwundert es nicht, dass in die Welt des Abgründigen auch der ein oder andere Bibliothekar Eingang gefunden hat, sei es als Charakter in Serien und Filmen, als Actionfigur, Superheldin und ja, auch im Erotikkino. Die vielen Facetten zu besprechen würde und wird vielleicht auch bald noch einen eigenen Blogartikel in Anspruch nehmen, auch gibt es in unserer Bibliothek Kolleginnen, die sich dem Genre sehr verdient in Recherchen nähern. In der Netzwelt gibt es dazu jedenfalls viel zu entdecken: Auf Twitter zB sammelt eine Person namens Pulp librarian alles was mit Popkultur und Bibliothekaren zusammenhängt.
5978b64a0741e_c

 

Beam me up, Scotty!

Eine andere Art von Science Fiction hat sich durch die Harry Potter Potter Filme in englischen Universitätsbibliotheken breit gemacht: Ganz anders als an der WU atmet  man dort noch Eichenholz und altehrwürdiges Buchflair. Die Bodleian Library in Oxford etwa hat als Drehort einen Kultstatus erreicht, der den Kolleginnen dort zweifelhafte Freude und häufigen Besuch von Kamerateams beschert. Vor Jahren war ich dort und traf eine Bibliothekarin, deren Hauptjob mittlerweile darin besteht, bei streng reglementierten Nacht-Drehs eine Art Babysitter für Kameraleute zu spielen. Sie verbringt ihre Nächte damit, die Filmschaffenden zur Ordnung rufen, damit sie den wertvollen Buchbestand nicht mit zu viel Kameralicht bescheinen, die Bodenmarkierungen beachten, und rechtzeitig zur vereinbarten Stunde mit dem Abbau beginnen.

db5ba498-83c2-44ce-8e56-b92c373355b2
„Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.“

Ein ähnliches Schicksal ist uns zwar erspart geblieben, für solcherlei Hexenzauber ist unser Interieur leider zu modernistisch. Dafür sollte sich 2014 Tom Cruise bei uns mal für einen Teil von Mission Impossible von einem Dach abseilen. Da er ja angeblich alle Stunts selber macht (zumindest erzählte man sich so), hätten wir das schon gerne gesehen. Der Drehtag kam näher, wir waren alle ganz aus dem Häuschen, internationale Zeitungen schrieben über uns.
Leider kam dann aber etwas dazwischen, aus organisatorischen Gründen wurden die Dreharbeiten kurzfristig an einen anderen Ort verlegt.
Ob das wirklich so war, oder man uns das nur sagte, damit wir nicht nächtens in unserer Bibliothek hinter Papiercontainern auf den Hollywood-Star lauern, haben wir nie erfahren.
Es war jedenfalls alles etwas..mysteriös.

Dank für die Inputs an Ulrike Kugler aus unserer Bibliothek

Fotos: Österreichisches Filminstitut

M – Eine Stadt sucht einen Mörder (ab Minute 0:57)

Mindgamers (ab Minute 1:01)

Life Guidance (ab 0:19)

 

Stresstest

Einmal im Monat proben internationale Software-Entwickler vor einem kritischen Fachpublikum von Bibliothekaren ihre neuesten Verkaufsstrategien. Dieser Stresstest gilt in der Branche als eine der härtesten Belastungsproben.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Paranoia

Es gehört zur Natur des Menschen, dass er in scheinbar zufälligen Anordnungen ein System erkennen will, oder relativ allgemein gehaltene Aussagen auf seine eigene Person bezieht, wie das etwa bei Horoskopen der Fall ist. In der Psychologie kennt man so etwas als Barnum-Effekt, und auch wir Bibliothekare sind davon nicht ganz frei: Was dem einen sein Horoskop, sind dem Bibliothekar die Titel der Neuerscheinungen. Oft fühlt man sich von Buchtiteln regelrecht kommentiert, etwas, was man auch als Neuerwerbungs-Paranoia bezeichnen könnte.

Die Auswahl dieser Titel enstand noch vor Corona, und ist eine wilde Mischung aus Handapparaten, Neubestelltem und Rückgaben. Und doch ist vom Skifahren in Tirol über Bad Leadership, Digitale Technologie und häusliche Gewalt so gut wie alles thematisch vertreten, was in den letzten Monaten Nachrichtenthema war..
Innere Welt und äußere Realität“ klingt wie eine etwas poetischere Anspielung auf die Zeit der Corona Heimquarantäne, ebenso „Die verzockte Freiheit„. Eine große Uhr gemahnt an die Mutter aller Fragen, und die lautete in den letzen Monaten: Wie lange dauert das noch?

Das Schweigen am Ende der Leitung

skype.3
Das Yoghurtbecher-Telefon, ein krisensicherer Klassiker unter den Kommunikationsmitteln

Nun ist sie also vielleicht bald überstanden, die unmittelbare Krise, oder zumindest scheint das Schlimmste für den Moment abgewendet. In den letzten Wochen haben wir viel gelernt, über uns, und die anderen, über das menschliche Miteinander, das Abstandhalten und die zahlreichen Irrwege der fernmündlichen Kommunikation.

Videotelefonie: Einer hat immer den Ton aus

skype„Sprich, damit ich dich sehe“ soll Sokrates gesagt haben, und er kann sich damit zweifellos nur auf jene Art der Videotelefonie bezogen haben, die in den letzten Monaten in vielen Büros schnell als Mittel der Wahl für den Austausch mit Kollegen etabliert wurde.

Ein Programm mit dem Namen Z.. (ich will hier keine Werbung dafür machen) galt als datenschutztechnisch verschrieen, und hält doch die unumstrittene Führung in Sachen Bildtelefonie, jedenfalls sobald es um größere Gruppen im beruflichen Kontext geht.

skype.2Grenzerfahrungen

Auch im Fernsehen wurde es üblich, dass Experten und PoltikerInnen sich aus ihren eigenen vier Wänden in die Nachrichtenformate hinein interviewen ließen. Niemals werde ich Lou Lorenz-Dittelbacher vergessen, wie sie mit den goldenen Worten den Sonntag Spätabend eröffnet: „Ich begrüße Sie herzlich zu einem Runden Tisch, an dem ich, wie Sie sehen, wieder ganz alleine sitze.“ Niemals haben wir auch so viele Bücherregale im Fernsehen gesehen (lesen Sie dazu auch warum man mit mir nicht ZIB2 schauen kann), denn das private Bücherregal etablierte sich rasch als allgemein akzeptierte Bühne für Einschätzungen zur Sachlage, politische Statements und Expertenmeinungen. Gewiss kennen auch Sie diese Dinge, die man sich ins Bücherregal stellt, die eigentlich nur der Dekoration dienen und bildungsbürgerlichen Flair versprühen sollen, für wenn Besuch kommt. So konnte auch der coronagemäß isolierte Normalverbraucher sich ein wenig verstanden fühlen, wenn allabendlich die bildschirmerhellten Köpfe von Virologen und Kulturschaffenden zwischen Haruki Murakami, Tolstoi und Brockhaus hervorlugten, um zur aktuellen Lage zu referieren.

Auch Grenzerfahrungen anderer Natur gab es: In Videoschaltungen wurden aufrichtige  Einblicke in die Haushalte von Kollegen und Kolleginnen inklusive Hund und Kind gewährt, und manch eine/r stellte erstaunt fest, wie viel seiner Tätigkeit im Homeoffice problemlos erledigt werden kann.

Diese Videokonferenzen sind gewiss etwas fehleranfällig, ich sage mal so: Es ist noch Luft nach oben.
skype.4

Die Unis und die Krise 

Am leichtesten hatten es die Unis. Seit Jahren auf einen solchen Fall vorbereitet, stellten sie souverän und quasi über Nacht ihren kompletten Lehr- und Prüfungsbetrieb auf Distanzlehre und digitale Formate um, hielten engagiert und fürsorglich Kontakt zu ihren Studierenden, und jammerten dabei kein bisschen.
Naja. So zumindest wird man es sich dereinst erzählen.
klausurDie digitale Bibliothek 

Bibliothekare sind innovationsfreudige Menschen, auch wenn man uns gelegentlich anderes nachsagt. Wir passen uns schnell an veränderte Gegebenheiten an, und schrecken (einmal vor vollendete Tatsachen gestellt) kaum vor neuen Systemen zurück. Vielleicht auch weil wir gelernt haben, dass wir am Ende keine Wahl haben. Wer alle paar Jahre wieder mit einer neuen Bibliothekssoftware konfrontiert wird, die von irgendeinem wenig fachlich, aber dafür umso mehr finanziell interessierten ausländischen Softwareanbieter aus dem Boden programmiert wurde, der wird reichlich stabil in Sachen Frustrationstoleranz.

The medium is the message

Der Vorteil an Videotelefonie am Laptop ist, dass man dabei in aller Regel die Hände frei hat, um zum Beispiel zu tippen oder zu telefonieren. Das ermöglicht seltsame kommunikative Totalerlebnisse, die die Verschränkung der verschiedenen Kanäle auf neue Extreme treiben: Den Vogel schoß eine Kollegin ab, die mit ihrem Handy mit einer dritten Person telefonierte, und davon in die bestehende Videokonferenz hineinberichtete, also WÄHREND wir gleichzeitig miteinander skypten. Generation second screen? Way ahead of you!

Und so wurden auch bei uns tapfer neue Software-Welten beschritten, es wurde mit Headsets gekämpft und Kabelsalat gebändigt, mehr als einmal kam es zu schweren Kaffeetassenunfällen. Gelegentlich verschwindet auch einmal ein Kollege wortlos aus der Runde, es wird dann angenommen, dass er sich Wichtigerem widmen musste, vielleicht war eines der Kinder gestolpert, oder es hat an der Haustüre geklingelt weil ein Lieferant kam, oder die Internetverbindung ist einfach weggebrochen.

Aber die Krise hat uns gelehrt: Das Leben geht weiter.