Schuld und Söhne

Diese Woche spendete uns ein Professor ein Buch für unseren Bestand, dessen Titel uns Mark und Bein gefrieren ließ: Der gespaltene Emittent! Spontan imaginierten wir bei diesem Titel eine düstere Figur als Mischung aus dem kopflosen Reiter und dem Einarmigen Banditen. Wir warten jetzt eigentlich nur noch auf die Horrorfilmfassung, und das Sequel: „Der gespaltene Emittent kehrt zurück!“. Das Kapitalverkehrsrecht ist eine brutale Angelegenheit, so viel ist klar. Doch gibt es auch andere Rechtsgebiete mit Krimipotential? – Wir haben uns umgesehen.
Der Herbst wird düster..

Klassiker für jung und alt
Die Älteren unter uns erinnern sich an Klassiker wie „Der Geschäftsführer ohne Auftrag“ oder „Der Steueroptimale Tod“, aber auch das Handelsrecht weiß mit guten Romantiteln aufzuwarten. Der erfolgreiche Geschäftsführer (offenbar Science Fiction), und die beiden Thriller Die unwahr gewordene Firma (ohne Tom Cruise) und Der Kaufmann, seine Vertreter und Gehilfen (ohne Venedig). Die Geschichten dazu müssen sie sich aber selbst ausdenken.

Freigegeben erst ab 18 Jahren

Dünn und brüchig verläuft die Linie zwischen Prosa und Juristerei. Aufgrund der übernommenen Institutsbestände haben wir allerdings, Schirach sei dank, tatsächlich das ein oder andere belletristische Werk im Regal.
Gruselschocker aus der Strafrechtsabteilung: Mord aus niederen Beweggründen, Die Haftung des Arztes, und Der privatärztliche Abrechnungsbetrug (ein Nervenzerfetzer für Sozialversicherungs-Sachbearbeiter).

Aber all das ist Kinderkram, und im Grunde auch für <16 Jährige freigegeben. Der wahre Grund, warum wir einen strengen Jugendschutz in der Bibliothek einhalten müssen, sind Hardcore Gruselschocker wie diese: Der Baum im Nachbarrecht und, nur für die besonders hartgesottenen Thriller-Fans: Mehrkosten im Bauvertrag.

Und auch für uns Bibliothekare war ein spannender Fund dabei: Der Bibliothekar als Betrüger. Dieses Werk (es stammt von 1930) wird sofort am Montag aus dem Magazin beschafft und einer näheren Betrachtung unterzogen werden müssen!

Der Bibliothekar als Betrüger. Schlagwort und Aufstellung, Schlagwortkatalog und Standortskatalog

Fifty Shades of Grey – die gemeine Poesie der Erwartungshaltung

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Die Erwartungshaltung ist ein Hund. Das zeigt sich nicht nur beim Zugfahren in der ÖBB Ruhezone (dort ist es nämlich alles mögliche, nur nicht ruhig), sondern trifft auch für das ein oder andere Buchcover zu. Über Thomas Bernhard wird erzählt, dass sich die Leute bei ihm beschwert hätten, weil sein Buch „Beton“, im Fachhandel in der Abteilung „Bauen und Wohnen“ einsortiert, ihren Erwartungen so gar nicht entsprochen habe. Wie muss es dann wohl erst seinem Roman „Holzfällen“ ergangen sein, möchte man denken, wenn man durch unser Festschriften-Regal schweift. Dort findet sich immerhin ein Werk mit dem pragmatischen Titel: Brücken bauen.
Fifty Shades

Festschriftenpoesie
Die Festschrift, von jeher eher ein literarisches Nischenprodukt,  dient heute allenfalls noch dazu Studenten mit dem Staub der Vergangenheit maximal zu langweilen. Auch die Publikationsgeschichte mancher Festschriften gleicht eher einem Trauerspiel mit hässlichem Termindruck, vergnüglich dazu Über das allmähliche Verfertigen der Festschrift beim Lektorieren. Vielleicht um ihren eher randständigen Charakter im Buchregal mit dem gewissen Chic zu kompensieren, tragen Festschriften oft die poetischsten, ja man möchte fast sagen, reißerischsten Titel. Sie funktionieren grundsätzlich nach der Formel „Hauptwort UND Hauptwort“ (Wahrheit und Pflicht/Krieg und Frieden/Sinn und Sinnlichkeit, etc.), beinhalten aber auch gerne ganze Sätze, die in Goldprägung auf körniges Dunkelblau hingeworfen sind, und jedem von Eichendorffschen Zitatespiegel Konkurrenz machen könnten: Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus. Eine besonders obskure Kategorie von Schriftentiteln vergemeinschaftet schließlich einen regionalen Aspekt mit einem möglichst weit umfassenden Sinnwort, was dann ungefähr so klingt:  Die Sintzsheimer Abgründe, die Olbrichsburger Argumente oder die berühmten Hohenheimer Horizonte, wer kennt sie nicht. Eine besondere Vorliebe für derlei imposantes Titelwerk hegt man offenbar in der Schweiz.

Fifty Shades of Grey

Ein Lehrender der hiesigen Anstalt schrieb jedenfalls eine Habilitation mit dem Titel „Wert und Preis“, und das ist ja nun von Jane Austens berühmten Roman „Stolz und Vorurteil“ durchaus nicht mehr weit entfernt, auch wenn darin wohl mehr geliebt und geleidenschaftet wird als im Gesellschaftsrecht.

Dont judge a Book by its cover
Aber nicht nur der Titel, auch das Coverbild eines Buches kann in die Irre führen und überzogene Erwartungen wecken. Erstaunliche Assoziationen und ein überwältigendes Hungergefühl weckten vor Kurzem einige neu eingetroffene Bücher zum englischen Schadenersatzrecht/Tort law, die auf den ersten Blick eher der Kochbuchsparte entstammen könnten. Tort law, na klar, von Torte, da müssen ja Kekse aufs Cover, könnte man meinen, aber dieser Kalauer ist denn doch etwas zu platt als dass wir ihn uns ernsthaft als Erklärung in Betracht ziehen wollten.

Absoluter Gewinner in dieser Kategorie bleibt bis heute der Delfin auf dem Kommentar für Arbeitsrecht, der uns Rätsel aufgibt. Warum der Delfin? Gelten Delfine als besonders sozial oder fleissig? Sollte drum hier die Brücke zum Sozialrecht zaghaft angedeutet werden? Sind sie in Gruppen unterwegs, vielleicht ein zarter Verweis auf das Kollektivvertragsrecht?.. Wir werden es wohl nie erfahren, womöglich hatte einfach jemand im Verlag eine Wette verloren, oder dem Setzer sind in der Hektik der Drucklegung eine Handvoll Urlaubsfotos ausgekommen. Wir Bibliothekare wollen ja immer das Gute und Schöne in den Dingen sehen, und vor allem erkennen wir stets ein System, selbst dort noch wo möglicherweise purer Zufall am Werk ist, oder anders gesprochen: Wenn man lange genug den Mond anstarrt, sieht irgendwann jeder ein Gesicht.

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Danksagungen
Aus diesem Grund werden wir sogar gelegentlich bedankt, was auch in poetischen Formulierungen geschieht.

 

Ein Garten voller bunter Pflanzen

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In einer großen Universitätsbibliothek ist immer etwas los. Während das Wetter in Wien sich zunehmend zur Stimmung eines Rilkegedichts verdüstert (Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben..), läuft die Bucherwerbung zu ihrem absoluten Höhepunkt auf. Zu keiner Zeit des Jahres werden so viele Bücher bestellt wie jetzt.

Wie die meisten Bibliothekarinnen haben wir eine bibliophile Ader, die sich gerne auch an rechtshistorischen Obskuritäten, Illustrationen, alten Stempeln und Exlibri sowie philosphischen Abhandlungen über das Rechtswesen und den Buchmarkt erfreut. Deswegen freut es uns besonders, wenn um diese Zeit des Jahres auch das ein oder andere Werk dieser Sorte zu uns kommt. Hier etwa ein Ausstellungskatalog zu Recht im Bild.

 

Outer Space

„Hier scheint es stabiles WLAN gegeben zu haben…und eine Art Sammlung von..kollektivem Wissen..“.
-„Wahrscheinlich eine Art Tempel oder Kultstätte..hier haben sie wohl ihre Gottheiten verehrt..“.
space law..irgendwo, weit weg in einer anderen Zeitdimension Milliarden Lichtjahre entfernt erkennen weitgereiste Siedler gerade den wahren Status unseres Berufes an..

Wie auf Schienen: Haftungsfragen selbstfahrender Autos und die didaktische Apokalypse

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Zwei- oder dreimal im Monat stehe ich mit einer Kollegin vor Studierenden und bringe ihnen die Grundlagen der juristischen Recherche bei. Wir machen vor allem die Datenbanken, wir zeigen wie sie in der RDB und im RIS Gesetze und Artikel finden, und besuchen die selbst von Praktikern eher gefürchtete Parlamentsseite. Wir erzählen ihnen aber auch, was eine Festschrift ist (das wissen die Studenten heutzutage wirklich nicht mehr). Unser Standardsatz dazu lautet „Eine Festschrift hat vorne drin ein Selfie des Autors!“, weshalb man sie auch Selfie-Schriften nennen könnte. Ein billiger Schmäh, aber er wirkt. Dann erklären wir, wie man mit Kommentaren und Entscheidungssammlungen zurecht kommt, womit man Zitierweisen und Abkürzungen entschlüsseln kann (RIDA), und wo man fündig wird, wenn es einmal wirklich altes Material aus der Kaiserzeit sein soll (ANNO, ALEX, docdel).

Der Vorführeffekt

Im Internet in Kursen live etwas vorzurecherchieren gehört so etwa zum Anspruchsvollsten was man machen kann. Denn erstens ist das Internet eine Diva mit wechselnden Launen, und zweitens lauert er überall: Der Vorführeffekt. Wir kennen das alle, man klickt auf den Link „und hier sehen Sie, wie von Zauberhand, gleich öffnet sich ein Fenster“ und es öffnet sich eben nichts, sondern es passieren andere, schlimme Dinge. Und wir sehen vor unserem inneren Auge Alfred Biolek in einer dieser 80er Jahre Kochshows, und er sagt „Sehen Sie! die vollautomatische Orangenentsaftungspresse häckselt ganz kinderleicht ihre Orangen“ und die Orangen fliegen durch die Küche, der Entsafter, der doch eben noch kinderleicht, er bricht in zwei Teile und Biolek ist voller Orangensaft, und sehen Sie: So ähnlich ist das, wenn man im Internet etwas live vor Studierenden vorrecherchiert.

Vertretung von Gemeinden

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Man sollte deshalb selbst als Vortragsprofi nie auf die Idee kommen, nur mal schnell „spontan etwas auszuprobieren“ – das Risiko, dass etwas schief geht und Sie enden wie Biolek, ist relativ hoch. Aus diesem Grund hatten wir uns über die Jahre einige gut funktionierende und erprobte Beispiele zurechtgelegt, und eines dieser Beispiele war „Vertretung von Gemeinden“. Vertretung von Gemeinden heißt ein Paragraph im ABGB und wir hatten das Beispiel aus einer Themenliste unserer Lehrenden übernommen. Es gipfelte in einem OGH-Urteil über ein Benediktinerstift, das einen Hauswart kündigen wollte, und der Frage, ob die das nun dürfen oder nicht. „Vertretung von Gemeinden“ war als Beispiel ungefähr so sexy wie Gemüsebrühe, aber es war ein gutes und vor allem tatsächlich an der Uni von Studierenden bearbeitetes Thema, es trug uns gut durch die Zeit. „Vertretung von Gemeinden“ ermöglichte uns einen hurtigen Parforceritt durch die verschiedensten Datenbanken, und wir konnten anhand von nur einem Beispiel sowohl die Suche nach OGH-Urteilen und Zeitschriften mittels Operatoren, als auch das für Juristen symptomatische Abkürzungs-Chaos umfangreich behandeln. In der ersten Zeit, als ich vor dem Halten solcher Kurse noch schlaflose Nächte hatte, war „Vertretung von Gemeinden“ mein vertrauter Rettungsanker, der mich durch die Lehrveranstaltung trug. Mit der Zeit, und nach vielen vielen Kursen wurde es dann immer mehr zu einem lästigen  Ohrwurm, der nach Belebung durch etwas Frisches rief, er war schlicht zur Routine geworden. Noch heute aber könnten meine Kolleginnen und ich spontan auf jedem Marktplatz der Welt einen kurzen Vortrag über „Vertretung von Gemeinden“ und den Benediktinermönch halten, so sehr ist uns das Beispiel in Fleisch und Blut übergegangen.

Selbstfahrende Autos

Unser neues Beispiel handelt von selbstfahrenden Autos, und das finden wir aus mehreren Gründen ganz großartig. Wir befinden uns im Schadenersatzrecht, und das gefällt den Studierenden schon einmal. Im Schadenersatz geht es ja meistens darum, dass jemand einem anderem wehtut, etwas wegnimmt oder etwas kaputtgemacht wird, zum Beispiel man stutzt seine Hecke mit der Gartenschere und dabei versehentlich die Katze vom Nachbarn mit, und das gefällt den Leuten, denn es ist schön plakativ und man kann sich darunter (anders als bei der Rückabwicklung im Dreiecksverhältnis), zumindest etwas vorstellen.
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Am Schadenersatzrecht kann man gut den Technologiewandel begreifbar machen. Denn ging es in älteren Fällen darum, dass echte Menschen etwas falsch machen, so geht es jetzt zunehmend um Maschinen und Roboter, die nicht im herkömmlichen Sinne des Gesetzes „schuld“ an etwas sein können, aber dennoch selten tun, was sie sollen, wie etwa selbstfahrende Autos, Rasenmäherroboter (liebevoll auch elektronische Schafe genannt) oder schlicht Algorithmen.

Wer haftet?
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In unserem neuen Beispiel geht es also darum, wer haftet, wenn es zu Unfällen mit selbstfahrenden Autos kommt. Bei dieser Gelegenheit kann man herrlich auf alles eingehen, was den juristischen Beruf ausmacht: Eine gewisse Kreativität beim Interpretieren von Sachverhalten, die Freude am Analysieren von technischen Neuerungen, und nicht zuletzt das Bilden von Analogien für jene Zeichen des digitalen Fortschritts, für die der Gesetzgeber noch keine Lösung geschaffen hat: Denkt man sich das selbstfahrende Auto als eine Art Waggon, der wie von Zauberhand auf virtuellen Bahnen gelenkt wird, quasi „wie auf Schienen“, dann ist man schnell bei einem anderen Verkehrsmittel, nämlich der Eisenbahn. Und somit im EKHG und zunächst einer Art von Gefährdungshaftung, die das Gesetz für Tätigkeiten vorsieht, die man als „an sich gefährlich“ einstufen könnte, wie das Betreiben schwerer Maschinen, oder das Bilden einer Bundesregierung.

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Kluge Menschen haben sich darüber hinaus gefragt, ob das selbstfahrende Auto dem Betreiber wie eine Art Lehrling zuzurechnen sei, was dann wieder eine Art Verschuldenshaftung wäre. Und um das Kaleidoskop der Haftungsarten komplett zu machen, kann man die Sache auf die Spitze zu treiben, nämlich über das Produkthaftungsgesetz. Mittels einer Haftung für die zugrundeliegende Software könnte man in solchen Fällen den Hersteller der selbstfahrenden Autos belangen. Wenn man, und auch darüber ist diskutiert worden, denn annimmt dass Software ein körperliches Produkt im Sinne des PHG darstellt..und so weiter und so weiter, und letztlich landet man bei all diesen Themen  immer auch noch im Versicherungsrecht, dem etwas stoffeligen großen Bruder des Schadenersatzes.
Dies alles sind Fragen, anhand derer man wirklich sehr plastisch die Fortentwicklung von Technik und Recht beobachten kann, und die sich in Zukunft vielleicht noch viel häufiger stellen werden. Jedenfalls aber eignen sie sich hervorragend um mit Studierenden zu diskutieren und Gedankenexperimente anzuregen.

Didaktisch hinterlistig, wie wir sind, kann man zu Beginn ein kleines führerloses Auto an die Tafel zeichnen. Solche billigen Taschenspielertricks sind zwar ordinär, aber äußerst wirksam: Die Zuhörer merken sich so etwas nämlich. Sie denken dann von Zeit zu Zeit bei selbstfahrenden Autos an diese kleine Zeichnung, an den Kurs, und die juristischen Bibliothekarinnen, die ihn gehalten haben, und sie denken „Ah ja, das waren die mit dem Auto!“.
Nicht zuletzt finden wir es toll, dass zu all diesen und zusammenhängenden Haftungsfragen auch an unserer Uni schon Lehrende publiziert und kommentiert haben, von dem Manches sogar erst erscheinen wird. Stellvertretend für Viele:

Maximilian Harnoncourt, Haftungsrechtliche Aspekte des autonomen Fahrens (FN 1 , ZVR 2016/228 (547)

In diesem Sinne haben wir uns am vergangenen Mittwoch mit einem weinenden und einem lachenden Auge von unserem geliebten Anfangsbeispiel „Vertretung von Gemeinden“ verabschiedet. Wir werden es immer in Ehren halten, und wir hoffen dass unsere Kurse weiterhin so gut ankommen und laufen wie bisher, eben:
Wie auf Schienen.

 

 

 

 

 

 

Cover Art

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Gestern habe ich mein Büro verschönert. Aus einer Sammlung von Buchumschlägen, die schon seit vielen Monaten bei mir herumlagen, entstand in Windeseile und einem Inferno aus Uhukleber eine wandfüllende Kunstlandschaft aus Rechtstiteln.

Die Buchumschläge werden im Bibliotheksalltag spätestens in der Adjustierung nämlich abmontiert und entsorgt, was ich immer ein wenig schade fand. Aber in der Benutzung würde der Umschlag nur stören und schnell kaputtgehen, außerdem kann man das Buch so nicht etikettieren, daher handhaben das eigentlich alle Bibliotheken so.

Man sieht jedenfalls, dass unsere Departments ganz schön vielfältig bestellen, speziell die Oxford Handbooks haben immer wieder klassische Gemälde am Cover, die meistens auch einen Bezug zum Inhalt haben (zB Menschenrechte). Ich habe so in den letzten Jahren schon einiges über Kunstgeschichte gelernt, weil ich die Bilder zunächst mal selbst recherchieren musste.

Space Ship insights

Letzte Woche wurde ich vertauscht. Das heißt: Ich durfte für einen Kurzdienst von 2 Stunden im Team Regalmanagement im Library Center schnuppern kommen, und habe dadurch deren Aufgaben- und Einsatzgebiete etwas besser kennen gelernt.

Flughafen

Das Library Center funktioniert vom System her wie ein riesiger Flughafen, und schließlich sieht es ja auch aus wie ein Raumschiff. Hier arbeiten teilweise sehr viele verschiedene Personen an einem Prozess mit, d.h. dass systemisch dasselbe gilt wie in jedem größeren Krankenhaus:

  • Alles muss genau gekennzeichnet sein
  • Aufgaben sind möglichst so organisiert, dass sie nicht an eine bestimmte Person geknüpft sind, und:
  • Kommunikation ist entscheidend.

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Die Post bringt allen was

Ein wesentliches Service, das vom LC Team aus gesteuert wird, ist der CAMPUSLIEFERDIENST. Mit dem Campuslieferdienst werden Bücher aus dem Learning Center an die anderen Departments geliefert und auch von dort wieder zurück transferiert. Beides erfordert jedenfalls eine Menge verschiedenfarbiger Kisten und eine ausgeklügelte und komplexe Organisation. Im Grunde genommen sind immer von jeder Farbsorte mindestens zwei Kisten im Einsatz: Eine steht am Department und wartet auf Abholung, eine neue, gefüllte wird vom Lieferdienst gebracht, der im selben Zug die Retour-Kiste mitnimmt.

Wer (wie ich) bei der Post gearbeitet hat, ahnt bereits hier die wesentlichen philosophischen Fragen, die es zu erforschen gilt:

-Es kommt etwas in der Kiste mit, was nicht zu uns soll–>WARUM nur WARUM?
-Es kommt etwas NICHT in der Kiste mit, was aber SEHR WOHL zu uns soll.–>WARUM nur WARUM..?


Das Kofferband für Bücher

Unsere Bücher sind mit Barcodes und RFID Tags bestückt, das sind so die technischen Basics auf denen so ziemlich alle Prozesse beruhen. Bücher können an unserem Rückgabeautomaten auch spät abends noch retourniert werden, solange das Gebäude offen hat. Von den Rückgabeautomaten gibt es sicherheitshalber gleich zwei, und sie heißen MASTER und SLAVE (habe ich nicht erfunden, das ist wirklich so).

Hier sieht man wie ein Buch in die Einflugschneise kommt und in den entsprechenden Korb fällt.

 

Die WU bekommt Fernleihen aus aller Welt, und wenn diese etwa aus einem anderen Bibliothekssystem stammen, ist nicht gesagt, dass sie mit unserer Technik kompatibel sind. Das System ist aber schlau genug, um in solchen Fällen fiktive Barcodes vergeben zu können, damit auch Fremdmedien ein „Mascherl“ haben und erkennbar sind.

Geht bei all diesen komplexen Prozessen etwas schief, passiert dasselbe wie am Flughafen: Ein Koffer fliegt nach Indien, während der Besitzer nichtsahnend in Amsterdam sitzt.

Meter machen

Im Library Center werden Schalterdienste versehen, Aushebungen aus Magazinen und Bereitstellungen gemacht, Fernleihen spediert und nebenbei im Turnus Medien auf 6 Stockwerken eingesammelt, sortiert und rückgestellt. Wesentlich wichtiger als in den doch vergleichsweise überschaubaren Spezialbibliotheken ist daher eine gute Zeiteinteilung, oder man muss fast sagen, ein gutes Schritt-Management: Wenn man eine Aushebung aus dem Sondermagazin, zwei Fernleihen aus verschiedenen Stockwerken und zwei Wagen voll Bücher für den Freihand Bereich abwickeln muss, ist man gut beraten vorher zu überlegen, welche Route durchs Haus man nimmt, um keine leeren Meter zu machen. Da die Aufgaben auch nicht alle die gleiche Dringlichkeit haben, muss man im Kopf quasi laufend Prioritäten setzen „das mache ich jetzt zuerst“. Die Dienste im Library Center sind sicher sportlich fordernder und auch teilweise abwechslungsreicher als bei uns, dafür kommt man aber auch im ganzen Haus herum.

Alte Bekannte

wurden auch angetroffen; unter anderem einen Jus-Studenten, der mal Integrationsstaatsekretär war, lang ist s her (2013), und eine versteckte Sammlung von Loseblattsammlungen, die hier nur auf Anfrage verwendbar sind. Falls Sie mal Ihre Loseblattsammlung verwildert haben: Hier ist sozusagen der Modus Werkszustand.
UNTEN: Auch die Sicherheitsdienste diskutieren über den Rechtsfall „Was eine Jacke sei und warum“  und haben entsprechende Leitjudikatur ausgehängt.

Der Austauschdienst im LC war wirklich spannend und bereichernd. Ein interessantes Buch, das jemand per Fernleihe bestellt hatte, ist mir dann auch noch untergekommen, es wird natürlich für unsere juristische Bibliothek gleich auch bestellt.
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Flüsterschule

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Ein TABU: Viele Menschen verbringen ihr Leben mit einem Geheimnis, das sie selbst mehr belastet als sie ahnen: Sie können nicht flüstern. Selbst unter äußerster Anstrengung schaffen sie es nicht, ihre Stimme auf das mauschelige Hinterzimmerniveau einer durchschnittlichen „Schau jetzt nicht auffällig hin, aber da drüben..“ Konversation herunter zu mildern.

Für uns Bibliothekarinnen ist dies ein großes Problem: Immer wieder begegnen wir Menschen, denen die grundlegenden Kenntnisse des Flüsterns in jungen Jahren nicht vermittelt wurden. Solche Personen können nur schwer in den Bibliotheksalltag integriert werden, und nur mit Mühe lässt sich im Erwachsenenalter ein solches Versäumnis nachholen. Nicht flüsternde Menschen neigen darüber hinaus dazu, von sich aus flüsternde Gruppen zu meiden. Sie bilden (wie Vorarlberger übrigens auch) Parallelgesellschaften, in denen es laut und lustig zugeht, sodass sie nicht unangenehm auffallen. Flüstern will gelernt sein, und wir wollen für nicht flüsternde Menschen eine Unterstützung geben: Aus diesem Grunde haben wir die erste Flüsterschule Österreichs gegründet. Gerade in Zeiten wie diesen, wo die Fähigkeiten des Mauschelns, Munkelns und Geheimniskramens quasi zum täglichen Handwerkszeug gehören, wollen wir dieses wichtige Soft Skill einer möglichst großen Bevölkerungsgruppe nahebringen. Nebenbei gehört es zu einer guten Ausbildung im Wirtschafts- und Korruptionsstrafrecht einfach dazu.

Trauen Sie sich, besuchen auch Sie unsere Flüsterschule, und auch Sie werden bald im Dunkeln gut Munkeln und anderen ein Ohr abkauen!
Auf unserer Kursliste für die Zukunft steht auch ein Modul über das Pfeifen. Denn wie könnte man sonst ein guter Whistleblower werden.

Stichwort [Zensur] Warum es wichtig ist, dass Bibliotheken auch umstrittene Bücher haben

Öffentliche Bibliotheken leisten einen wichtigen Beitrag zur Demokratie. Genau deswegen sollten sie ein breites Meinungsspektrum repräsentieren, und um polarisierende Titel keinen Bogen machen. Das sieht man allerdings nicht überall so.


Verbrannte Wörter

Vor Kurzem schrieb die Sprach- und Medienwissenschaftlerin Ingrid Brodnig auf Twitter über ein Buch, das sich den sprachlichen Wurzeln von heute noch geläufigen Redewendungen widmet. Das Buch ist aus dem DUDEN Verlag, und trägt den etwas plakativen Titel „Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie Nazis.“. Es geht darin also um Formulierungen, die wir im Bibliothekskontext als „belastet“ bezeichnen würden, von denen manche aber auch durch eine Bedeutungsverschiebung als rehabilitiert in den normalen Sprachgebrauch eingegangen sind. Sprache entwickelt sich, und das „Unsagbare“ einer Generation muss nicht für alle Kommenden noch gleich stark wirken. Gerade bei solchen Formulierungen lohnt sich aber ein Blick auf ihren Ursprung. Es ist mir selbst schon passiert, dass ich erstaunt über eine mir harmlose Redewendung künftig sensibler auf den Kontext achtete (Stichwort „durch den Rost fallen“ – viele junge Menschen kennen den Abgrund aus dem dies stammt nicht mehr).

Ich fand das Buch jedenfalls interessant und habe es für die Bibliothek bestellt, da sich auch JuristInnen viel mit sprachlichen Feinheiten beschäftigen. Der Buchtipp hatte indessen einen Nerv getroffen: Unter dem Buchhinweis von Frau Brodnig versammelten sich sogleich noch ein paar  mir unbekannte PosterInnen, die sich erregten „man kann aber auch alles zu Tode akademisieren“ und etwas von „Sprachpolizei“ und „Redefreiheit“ schrieben, was ihnen unbenommen sei.

Auf der anderen Seite dieser Skala finden sich in letzter Zeit zB AutorInnen, die Lesungen in Buchhandlungen absagen, weil dort vor Zeiten auch extremistische Schriftsteller geladen waren;  oder Leute die Journalisten vorschreiben, sie dürften nicht in kontroverse Talkrunden gehen, weil man der politischen Rechten den Diskurs verweigern und keine Bühne bieten dürfe. Von all dem und der Meinungs- und Lesefreiheit handelt dieser Essay.

The medium is the message

Die Grenzen, wo etwas noch (kritisierbare) Meinung ist, und wo Haltungen beginnen, denen aufgrund ihrer schieren Hetze und Menschenverachtung jeglicher Diskurs verweigert wird, sind bekanntlich nicht immer so leicht zu treffen. Tatsache ist aber, und das erstaunt auch unsere NutzerInnen immer wieder, dass wir als Bibliothek uns dieser Frage meist gar nicht stellen (müssen). Warum? In dem Moment, wo Jemand einen Titel lesen möchte, müssen wir uns mit dessen Anschaffung befassen, die (bis auf seltene Fälle) auch tatsächlich erfolgt. Wenn jemand also alle Bücher von Thilo Sarazzin lesen möchte, dann soll er die Möglichkeit dazu haben. Dies möglichst ohne sie sich selbst kaufen zu müssen; es ist nicht unsere Aufgabe die Motive unserer LeserInnen zu hinterfragen.

In unseren Regalen finden sich daher Werke von Karl Marx und Donald Trump genau so wie die Encykliken der Päpste, ebenso Birgit Kelles „Gender-Gaga! Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“. Auch haben wir Schriften des Staatswissenschaftlers Carl Schmitt, über den die Wikipedia Folgendes schreibt: „Schmitt wird heute wegen seines staatsrechtlichen Einsatzes für den Nationalsozialismus als Gegner der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus und als „Prototyp des gewissenlosen Wissenschaftlers, der jeder Regierung dient, wenn es der eigenen Karriere nutzt“, weithin abgelehnt. Allerdings wird er aufgrund seiner indirekten Wirkung auf das Staatsrecht und die Rechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik mitunter auch als „Klassiker des politischen Denkens“ bezeichnet.“

In unserer Newslounge wiederum liegt das komplette Programm an Tageszeitungen aus dem In- und Ausland auf, obwohl wir in der Tat nicht jede derer Blattlinien teilen.

Der Mythos vom Wahren, Guten und Schönen 

Die meisten Leute denken, dass Bibliothekare an Schaltern sitzen, und all die Bücher selbst lesen, die sie zuvor geprüft, liebevoll ausgesucht und bestellt haben, und das ist ein Irrtum den man leider nicht oft genug entzaubern kann: Man täuscht sich, wenn man glaubt, dass Bibliothekare beim Kauf eines Buches eine Art gläubiges Bekenntnis zu dessen Inhalt abliefern würden. Wir sind keine Fleischersgesellen, die einem besonders gut geratenen Bratenstück das Prädikat „besonders wertvoll“ umhängen oder es als „für die Öffentlichkeit bedenkenlos“ zum Lesen freigeben. Ganz im Gegenteil: Gesellschaften, in denen solche „Leseempfehlungen“ angewendet oder ausgesprochen wurden, waren in aller Regel keine besonders demokratischen. Bibliotheken, die ihren Bestand beginnen nach eigenen politischen oder religiösen Anschauungen auszurichten, geraten in ein gefährliches Fahrwasser. Unsere Gesellschaft ist divers, und eine Bibliothek die ihre Bestände durch einen Filter, sei es auch jener einer „political correctness“ gleiten lässt, wäre eben genau das nicht: eine Bibliothek. In einer Welt, in der gleichwer ob Linke, Rechte, Atheisten oder Fundamentalisten uns erklären, was gelesen werden darf, und was nicht, möchte ich jedenfalls nicht leben.
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Blattlinie

Aber anders als Buchhandlungen müssen wir auch nicht so klar Stellung beziehen, was gewissermaßen ein Privileg und eine Einschränkung zugleich ist. Buchhandlungen haben meist eine bestimmte Ausrichtung, und anders als Bibliotheken sind sie auch vielmehr vom wirtschaftlichen Gewinn abhängig, leisten mit dem Vorrätighalten eines Titels aber auch eine direkte finanzielle Unterstützung für die Kasse des Autors. Es ist die Entscheidung einer Buchhandlung, welche AutorInnen sie zu Lesungen einlädt oder in die Auslage legt, und die Entscheidung der Kundinnen, ob sie das unterstützen wollen.

Das ist bei Bibliotheken eben anders. Als Universitätsbibliothek werden wir auch von der öffentlichen Hand finanziert, und natürlich unterliegen wir in Hinblick auf unser Budget den Grundsätzen der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit, des Bedarfs, etc. Es gibt Bibliotheken, die einen speziellen Schwerpunkt haben und diesen auch offen deklariert haben (was das Wichtigste ist), anarchistische Bibliotheken oder Zeitgeschichte-Bibliotheken etwa, linke Bibliotheken, und das alles hat auch seinen Platz.

Prekäre Titel

Nur in den seltensten Fällen wird das Forschungsinteresse eines Ankaufsvorschlags von der Bibliothek hinterfragt. Wir servicieren als öffentlich zugängliche Bibliothek die verschiedensten Publikumsströme, von den Schulen bis hin zu den Pensionisten. Solange die Versorgung unserer Kernzielgruppe (der Universitätsangehörigen) mit Fachinformation gewährleistet ist, ist es uns gleichgültig ob jemand eine wissenschaftliche Arbeit, einen journalistischen Artikel schreibt oder in seinem Ruhestand neue private Interessensgebiete erschließt: „Das interessiert mich!“ reicht bei uns, und das ist auch gut so. Das „warum“ hat uns schlicht nicht zu interessieren.

Dass manche Titel in speziellen Magazinen dem direkten Zugriff etwas entzogen werden, hat indessen reichlich pragmatische Gründe. Manchmal sind es schlicht besonders teure Werke, die so vor Diebstahl gesichert werden. Für äußerliche Kennzeichen im Buchdruck des NS-Regimes wie Reichsadler oder Hakenkreuz-Stempel gibt es einen Schwarzmarkt-Handel auf Börsen im Internet, weswegen aus Büchern dieser Zeit schon zuweilen solche Insignien herausgeschnitten und verscherbelt wurden. Auch dies kann ein Grund sein, solches Buchgut eher besser zu verwahren, ohne es völlig dem Zugriff der Forschung zu entziehen. Einen „Giftschrank“, wie man das früher nannte, in dem Bibliotheken besonders abartige Titel auf immer wegsperren, haben aber in Wahrheit die wenigsten Universitäten.

Dass wir auch umstrittene Titel haben, bedeutet jedenfalls nicht, dass wir deren Meinung inhaltlich teilen. Wir würden aber jederzeit alles dafür tun, dass Sie sie lesen können. Und genau das macht uns zur Bibliothek.

„Ich missbillige was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“, so könnte man schließen.
Der deutsche Bibliothekenverband hat übrigens gerade zum Geburtstag des Grundgesetzes eine Aussendung zum Thema Bibliotheken und Demokratie entworfen.