Des Kaisers neuer Kleidungsstil

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Der neue Stil


Es war einmal ein Kaiser, der wollte seine Macht im Lande ausbauen. Seine Umfragewerte waren grundsätzlich gut, aber die Art und Weise wie er an die Macht gekommen war, war nicht bei Jedermann gut angesehen, andere hielten ihn für zu jung.
Also holte der Kaiser sich einige Consulter, Spin-Doctoren, Medien-Coaches und Quereinsteiger an seine Seite. Die sollten ihm helfen seine Ideen umzusetzen, und seine Marke auszubauen; er wollte etwas anderes, das ihn frisch und authentisch rüberkommen ließ. Er wollte einen neuen Stil.
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Die Berater des Kaisers empfahlen eine Kooperation mit einer Modelinie, die gelinde gesagt in Fachkreisen umstritten war.
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Nach kurzer Zeit präsentierte der Kaiser dem Volk sein neues Kabinett und seinen neuen, völlig anderen Kleidungsstil.
Das Volk war besorgt.
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Mit der Stimmung im Lande ging es bergab. Der Kaiser zeigte sich bei regelmäßigen Paraden, die neuen Kräfte in seiner Regierung aber trieben ein gefährliches Spiel, sie zerstörten die demokratische Kultur im Land, verprassten Geld und Ansehen, und machten vor den Augen des Volkes den größten Unfug und die schändlichsten Händel.
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Der Kaiser bekam wohl mit, dass dies keine Einzelfälle waren, und seine neuen Partner dem Lande schaden würden. Aber er dachte bei sich: Nunja, besser ist’s man redet über die, dann fragt auch niemand nach meiner Hofkasse, meinem Studienabschluss und meinen Jugendsünden.

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Die Situation im Lande war bedrückend. Das Volk getraute sich kaum mehr offen zu sprechen oder zu fragen, und auch die Medienlandschaft zitterte um ihre Freiheit. Keiner wagte auszusprechen, was indes für alle klar ersichtlich war: Ob denn der neue Stil am Ende gar kein so neuer Stil wäre..? Sondern bloß neuer Anstrich, auf alten, sehr hässlichen Fahnen.

Eines Tages hielt der Kaiser eine seiner Paraden ab, da hielt es ein kleines Kind nicht mehr auf seinem Sitz, es sprang auf und schrie heraus: „IBIZA! Das ist kein neuer Stil! Seht ihr denn nicht, dass der Kaiser gar kein Rückgrat hat!?“

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Das Volk war schockiert. Aber es machte sich auch eine große Erleichterung bemerkbar. Wie ging es weiter: Die Berater von einst waren lang über alle Berge, sie hatten zu guter Letzt noch ein paar gute Geschäfte gemacht (das ist übrigens meistens so).
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Ein paar Leute mussten zurücktreten, jemand wollte eine Zeitung kaufen, und jemand hatte keine Oligarchennichte, tja, und dann gab es auch Neuwahlen. Jedenfalls es war alles sehr hässlich, das kann ich ihnen sagen.
Die Leute im Land aber waren froh, dass nun wieder etwas frohere Zustände einkehren konnten, und sie hofften mit verwunderlichem Optimismus auf eine Neustabilisierung der Regierung. Das tun sie noch heute, wenn sie nicht gestorben sind.

Und die Moral von der Geschicht: Der Mensch ist korrumpierbar als a Ganzer, vom Anfang bis zum Ende. Und wer von sich aus nicht schon korrumpierbar ist, den korrumpiert am Ende die Macht.
GEHT WÄHLEN

 

Getting your shit together – Wer Notizbücher gebraucht, hat die Kontrolle über sein Leben gewonnen

 

Vor kurzem hatte ich noch darüber gespottet, nun ist es tatsächlich so gekommen: Der zitronengelbe Linde Verlag hat es als Werbeaktion wahr werden lassen: Der  KODEX – das Notizbuch.
Vermutlich werde ich aber niemals irgendetwas in diesem Notizbuch schreiben. Für kreative Chaoten wie mich ist das Notizbuch in etwa das psychohygienisch aufgeladene Pendant der Lagerfeldschen Jogginghose: Wer ein Notizbuch besitzt und es sichtbar mit sich herumträgt (ganz gleich wie leer es sein mag), der hat, das weiß man doch, sein Leben im Griff. Ein solcher Mensch ist dort angekommen wo er hinmuss, er hat den Überblick, er lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, hat vielleicht sogar einen papiernen Kalender, und was könnte vertrauenserweckender sein.

Whatever floats your boat

Notizbücher spenden Vertrauen, sie sind die beblätterte Waffe der Bürohengste, das FEEL GOOD Produkt der planlosen Hektiker. Und kein noch so smartes Phone vermag zu erzeugen, was dieses hoffnungsfrohe Beschreiben der ersten Seiten in einem neuen Jahr in einem auslöst. Ich hätte immer gerne zu diesen notierenden Menschen gehört, ihr Leben muss ein glückliches sein, sie haben das geschafft was man im Englischen wenig fein „getting your shit together“ nennen würde. Verwunderlicherweise habe ich mein Leben auch ohne Notizbuch ganz gut im Griff, ich schaffe es Termine einzuhalten, bin pünktlich, zuverlässig und sachlich wie räumlich orientiert.  Aber es geht hier auch mehr um die Emotion. Man kann sein Leben auch in einem Stoß wechselnder Post-its gut organisiert kriegen, bewährt ist immer das System, das funktioniert. Nur ein Notizbuchmensch wird wohl nicht mehr aus mir. Bevor dieses gute Stück daher auf dem Stapel anderer angefangener Notizblöcke landet, gestatten Sie mir diesen einen kurzen Moment bürokratischer Hybris.

 

Pressefreiheit

„Erschienen sind Vertreter des christlichen Ortsbildpflege-Almanach und der Fischereifreunde Salzkammergut, sowie eine Abordnung der Feuerwehrzeitung Göpfritz an der Wild.“

 

pressefreiheit

Nachdem die Möglichkeit der Fragestellung bei Pressekonferenzen für Journalisten empfindlich reduziert wurde, überließen die Medienvertreter die Berichterstattung aus diesem Ressort zunehmend VertreterInnen aus weniger überlasteten Redaktionen. #Pressefreiheit

„Russia: Douze Points!“ – politische Lektüren zum Eurovision Song Contest

Ich hatte mir kürzlich gewünscht, dass die Völkerrechtler in meinem Umfeld doch mal was zum SongContest diskutieren oder aus ihrer Sicht erzählen oder schreiben sollten. Dass der ESC eine reichlich politische Veranstaltung ist und immer war, muss an dieser Stelle nicht extra erwähnt werden. In diesem Atemzug habe ich die Bestände der Bibliothek nach ESC Literatur durchforstet und bin auf durchaus interessante Werke gestoßen. So Here you go.

 

Ein ganzes Feld widmet sich der Teilnahme der ehemaligen Ostblockländer beim Song Contest. Es geht um Geld, es geht um Macht, es geht um Geschlechteridentitäten in traditionalistischen Rollenbildern. Dass hier gerne Länder aus eher strategischen Überlegungen politische und geografische Nachbarn durch großzügige Punktevergabe freundlich stimmen, ist auch kein Geheimnis mehr. Diesen für den Zuschauer relativ langweiligen Gefälligkeitspunkten wird in der Geschichte des ESC immer wieder durch Einführen oder Abschaffen verschiedener Jurywertungs-Systeme gegengesteuert. Nicht besonders erfolgreich.
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Früher war mehr Lametta

Dass kaum mehr in den traditionellen Landessprachen gesungen wird, bedauert die Erstellerin dieses Blogs aus persönlichem Unterhaltungsgedanken heraus. Auch die Klassiker der Bühnenkunst geraten leider zunehmend in Vergessenheit: Dazu gehören beim ESC der großzügige Einsatz von Feuer und Wasser, aber auch das Auftreten in folkloristischen Trachten und Phantasieuniformen. Beliebt war früher auch das „Wechselkleid“, welches mit einem beherzten Ruck zum Vorschein gelangte.

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The Case of Conchita

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War der ESC früher Austragungsort einer eher verstaubt anmutenden Ostblock-Nostalgie, wird er seit der Jahrtausendwende zunehmend zum Verhandlungsplatz für liberalere Sexualmoral, Rollenidentitäten und Geschlechterdefinition, was auch in den Songs und der Entsendung der Interpreten zum Ausdruck kommt.

Negotiating Sexual Desire at the Eurovision Song Contest: On the Verge of Homonormativity?

Nicht zuletzt geht es beim ESC auch um eine Menge Geld und Tourismus, und die Frage welches Land als Sieger den Austragungsort des Folgejahres stellen wird. Besonders kontrovers und skurril geraten hier immer Beiträge von Staaten, die von der allgemein schlechten Menschenrechtslage im eigenen Lande mit einer überkompensatorischen Show aus Glitzer und Travestie ablenken wollen (Azerbaidschan).

Und, zurück zum Völkerrecht: Falls Sie sich auch schon immer gefragt haben, warum Australien am Eurovision Song Contest teilnimmt: Ich mich auch.

Die angeführten Werke sind alle im Bestand der WU Bibliothek erhältlich. Auffinden und lesen kann man Sie übrigens nur, weil hochsensible OCR Technik die Inhaltsverzeichnisse erkennt. In vielen Fällen wird ein solcher Artikel aber überhaupt erst dadurch erkannt, dass ein kundiger Fachreferent/in den Inhalt nochmal kurz quer liest, und in den Datensatz schreibt: „Eurovision Song Contest“. Das ist so ziemlich das beste Beispiel, wie man den Wert von Sacherschließung erklären kann.

Hier sehen Sie nochmal ein Cover, das das Verhältnis der Balkanländer zu Europa thematisiert. Es ist etwas verwirrend, denn man sieht Pierre Brice (einen Franzosen), der Winnetou (einen Indianer) spielt.
Sinn ergibt das Bild nur, wenn man weiß, dass die Filme in Yugoslawien entstanden, deswegen sieht man auch manchmal die Autobahn im Hintergrund. Der deutsch-serbische Schauspieler Gijko Mitic (rechts) wurde zum Darsteller zahlreicher fiktiver Indianerpersönlichkeiten.
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R*****lstilzchen und der Datenschutz

Märchen neu erzählt
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Es war einmal ein Bibliotheksnutzer, der war besonders neugierig. Er suchte ein Buch, das aber entlehnt war, und da er sehr ungeduldig war, so ging er zum Bibliotheksschalter und dachte er könnte so herausbekommen, wer das Buch bei sich hätte.

 

„Gewiss dürfen Sie mir nicht sagen wer ein Buch entlehnt hat, oder?“ – „Sehr richtig.“ sagte die Bibliothekarin „aus Datenschutzgründen dürfen wir darüber keine Auskunft erteilen.“.

„Nunja“, meinte der schlaue Nutzer „ich bräuchte es aber wirklich mega urgent, Frau Bibliotheksmiss, nämlich!“. „Tut mir leid.“ sagte die Bibliothekarin.
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„Ich könne ja raten..“ meinte der Nutzer darauf..“dann bräuchten Sie gar nichts verraten und wären total safe..“
-„NEIN.“
„Ach kommen Sie..es ist bei Prof. Hinz, ich weiß es doch! Das ist genau sein Fachgebiet..alle DSGVO Kommentare stehen bei ihm im Handapparat..“
-„NEIN!“
„Wie NEIN? – NEIN er hats nicht? – Ha!“
-„NEIN. Bitte gehen Sie jetzt.“

 

Der Nutzer wurde immer aufdringlicher und schielte distanzlos auf den Bildschirm des Computers. Durch Schmeicheleien und Komplimente versuchte er die Bibliothekarin für seine Sache zu gewinnen. Der mehrmaligen Aufforderung  einen Sicherheitsabstand einzuhalten, wollte er nicht Folge leisten.
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„Ich habs: Dann heißt er vielleicht Kuntz!“
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Der Nutzer überschritt nun wirklich die Grenzen der Höflichkeit. Er tanzte wild in der Bibliothek auf und ab, und nannte alle personenbezogenen Daten, die ihm in den Sinn kamen. „Ist der Entlehner blond oder brünett?“ – „NEIN.“ – „Hat er eine Brille?“ – „NEIN.“ „Keine Brille also, vielleicht ein auffälliges Haustier?“ „NEIN! „Eine spezielle Vorliebe, ein Hobby, eine politische oder sexuelle Orientierung oder sonst irgendetwas von Krankheitswert?“ – „NEIN!“.
„Fahhradfahrer?“ – „Ich weiß nicht.“ „Ohrringträger?“ – „Vielleicht.“. „Aha! Eine Frau!“ -„NEIN! GEHEN SIE JETZT!“
„Also keine Frau?“ Hm…..dann…heißt er vielleicht…R*****stilzchen?!!!“
„Warten Sie kurz..ähm..NEIN.“
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Da wurde es dem Nutzer zu bunt. Aus Wut darüber, dass er partout keine Auskunft von der Bibliothekarin erlangen konnte, verlor er völlig die Fassung. Er nahm sein Bein in die Hand, und riss sich selbst entzwei (diese Stelle hat die Bibliothekarin schon als Kind aufgrund ihrer Akrobatik tief fasziniert).
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Die Bibliothekarin aber lebte glücklich und datenschutzkonform weiter in der Bibliothek.
Und die Moral von der Geschicht: Als Bibliothekare sind wir Hüter des Wissens und der Weisheit. Wir verraten keine sensiblen personenbezogenen Daten an neugierige Menschen. Und Sie sollten das auch nicht tun.

Karteikarten – Das Analoge schlägt zurück

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Eines Abends konnte eine Nutzerin ihr Handy nicht mehr finden. Es war schon nach der Öffnungszeit und die Verzweiflung groß, daher halfen wir ihr neben dem Rückstellen der Bücher alle Flächen abzusuchen. Natürlich kamen wir nach dem ersten Durchforsten auf das Naheliegende: Wir riefen die Nummer vom Handy an. Von unserem Schalterttelefon aus ließen wir die Nutzerin ihre Nummer eingeben, und tatsächlich vernahmen wir ein zaghaftes Summen von vage irgendwoher. Irritierenderweise schien es aus dem Bestand zu kommen, also: Von zwischen den Regalen. Wir also wie Hänsel und Gretel dem Geräusch hinterher, man fand sich wieder vor dem Privatrechts-Regal: Das Privatrechts-Regal vibrierte und summte in der ansonsten mucksmäuschenstillen Bibliothek, und an dieser Stelle hatte die Szene schon einigermaßen an Horrorfilm-Qualität gewonnen. Kurz bevor selig Franz von Zeiller höchstselbst als Gespenst dem Regal entsteigen konnte, wurde des doch recht irdischen Rätsels Lösung offenbar: Das Handy war in einem Buch stecken geblieben. Die Nutzerin hatte das Buch im Weggehen eilig zugeklappt und so war das Werk samt elektronischer Einlage ins Regal zurück geräumt worden. Ein bestürzender und etwas gruseliger Beleg für die Effizienz, mit der bei uns gearbeitet wird, und der sich seither auch noch in abgewandelten Formen wiederholt hat. Ich aber dachte so bei mir: Das Analoge schlägt zurück! Und diese Begebenheit ist mir heute wieder eingefallen, weil wir nämlich Karteikarten ins Haus bekommen haben.

 

Wie damals beim Vokabeln lernen

Karteikarten (für die Jahrtausendergeneration: Das ist so eine Art Wikipedia, die man auf Zetteln ausgedruckt hat), das kennt man ja heute nicht mehr so, da kaum noch sichtbar damit gearbeitet wird. Tatsächlich sind Karteikarten aber bei Studierenden immer noch ein beliebtes Lernmittel, und es gibt trotz anders lautender Gerüchte immer noch genug Menschen, die das Haptische mögen oder sogar brauchen, die lieber aus gedruckten Büchern lernen, weil sie dort etwas anstreichen und markieren können, usw.

Als Bibliothek machen wir um solche Medien zwar grundsätzlich einen Bogen, denn es lässt sich ja denken was in der freien Nutzung durch lernwütige Bibliotheksbesucher mit so einem Karteikartensatz geschieht. Im vorliegenden Fall lag die Sache aber anders: Diese Karteikarten sind wirklich toll gemacht, es haben Lehrende aus unserem Haus mitgearbeitet, und wir finden es sinnvoll eine Art Belegexemplar in der Bibliothek zu sammeln.

Der natürliche Feind des Buches ist der Nutzer

Natürlich stellten sich bei der Inventarisierung gewisse Fragen: Wie sollen wir das Ganze aufbewahren? Wo bekommt man noch einen Karteikartenkasten her (es wurde ein guter  gefunden), welche Farbe soll er haben (blau natürlich), und vor allem WAS zum Kuckuck schreiben wir in die Signatur..? Die Karteikarten gehören zu den berüchtigten NBM: Non Book Materials, der Alptraum aller Bibliothekare. Darunter fallen CD-Roms (Dank Danzl/Schmerzengeld-Entscheidungen haben wir auch hier einen absonderlichen aber notwendigen Vertreter), Spiele, Gießkannen und auch sonst alles was Sie bei Thalia auf vielen Geschoßen verteilt bekommen, obwohl es eben KEIN Buch im herkömmlichen Sinne darstellt.

In der Signatur steht nun: Auf Anfrage benutzbar in Zimmer (mein Büro), und auf meine abschließende Frage in die Runde, ob man einen elektronischen Sicherungsstreifen auf das Endergebnis unserer Bemühungen aufbringen sollte, bekam ich zur Antwort: „Nein, diese Karteikarten sicherst du mit deinem Leben!“.

Schützend werde ich mich also in Hinkunft vor diese Karteikarten werfen, wenn sie von auf Anfrage Benützenden nicht maßvoll gehandhabt werden. Kommen Sie aber gerne vorbei und nehmen Sie selbst Einsicht! Auf Bald 🙂

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*Titelbild oben: Das gedruckte Lehrbuch stirbt nicht aus: Gefunden in einem offenen Bücherschrank bei Bingen

 

 

Alter Falter

Heute ist etwas passiert, was in Bibliotheken wirklich nicht so oft vorkommt: Ein Buch aus der hier schon öfter erwähnten Gedächtnisbibliothek Prof. Rill, die im Zuge der Erschließung immer interessanter zu werden scheint, hat sich beim Aufschlagen als sehr alt herausgestellt. Also wirklich alt:

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Unnötig zu erwähnen, dass bibliophilen Fachreferentinnen bei diesem Anblick das Herz höher schlägt.

 

Das Buch ist sehr leicht, da die Seiten dünn wie Schmetterlingsflügel sind, links ist dafür eine halbe Textilfabrik mit eingebunden. Bemerkenswert bei einem so alten Buch sind auch die Verzierungen und das Impressum, hier eine Buchdruckerin (zumindest sieht sie verdächtig weiblich aus) mit Werkzeug und einem rätselhaften Tier, und dem Leitspruch, frei übersetzt „Weiter durch Arbeit und Gunst“.

Es handelt sich um ein Werk zum Zivilrecht, so weit kommt man auch ohne Stowasser noch. Wie alle Bibliothekare spreche ich selbstverständlich fließend Latein, was mich aber nicht verleitet Ihnen Näheres über den Inhalt preiszugeben. Nur so viel: Was dann geschah, damit hätten Sie nie gerechnet…!
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Auf Wikipedia kann man dann dankenswerterweise noch Näheres über den Wiener Buchdrucker Thomas von Trattner erfahren, dass er nämlich auf lizenzrechtlich, sagen wir fragwürdigen Wegen zahlreiche Bestseller seiner Zeit kostengünstig auf den Markt brachte, kostengünstig auch weil teilweise sinnentstellend um Seiten reduziert.

Nicht nur, dass diese Autoren, wie damals üblich, keinerlei Tantiemen bekamen, viele dieser Werke wurden von Trattner nach der österreichischen Zensur „entschärft“ und damit z. T. erheblich entstellt. Dadurch machte sich Trattner besonders in den norddeutschen Gebieten erbitterte Feinde unter den dortigen Buchhändlern und Verlegern, die durch Trattners Nachdrucke deutliche finanzielle Verluste hinnehmen mussten.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen den Zivilrechtskodex lesen, und dann endet das Ding in der Mitte und auf der letzten Seite steht „An dieser Stelle ist uns leider das Geld für den Druck ausgegangen.“
Tja. Es waren andere Zeiten.

Ein schöner Fund jedenfalls. Wir glauben, dass es das älteste juristische Buch im Hause sein könnte.

Printreserve

Wir so, wenn die große Datenapokalypse im Internet alle Server lahmlegt, wir aber alle Kommentare und Zeitschriften zusätzlich noch mal in Print gekauft haben..
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Dieses Bild hat mir mein GG auf einem Flohmarkt verehrt, und ich plane seit Monaten es endlich in meinem Büro zur Aufhängung gelangen zu lassen. Leider vergesse ich jeden Morgen einen kleinen Nagel mitzunehmen. Warum, werden Sie jetzt fragen, beauftragt man damit nicht mal eben schnell die Haustechnik? Tja, wenn Sie sich das fragen, dann haben Sie noch nie an einer Universität gearbeitet 🙂

Zeichen: Für Kelsen holen wir auch China in den Katalog

Durch die Erschließung der RILL Bibliothek ist kürzlich auch ein Buch in unseren Bestand gelangt, das über weite Teile in chinesischer Schrift verfasst ist. Es handelt sich, wie der kundige Leser sofort erkennt, um eine Übersetzung von Günther Winklers „Wertbetrachtung im Recht“. Bücher mit Zeichen aus anderen Schriftsystemen stellen selbst für moderne Bibliothekssysteme eine Herausforderung dar, und oft bedarf es einer kollegialen Kooperation mehrerer Bibliotheken (und Übersetzerinnen), um einen solchen Datensatz schön in den Katalog zu bringen. Doch wenn es um KELSEN geht, und selbst wenn er nur am Rande im Literaturverzeichnis auftaucht, ist kein Weg zu weit: Es ist gelungen! Und wir dürfen uns nun über das freuen, was unsere Kollegin treffend als „luxuriös ausgestatteten“ Datensatz bezeichnete.. so sieht das Ergebnis dann aus.

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Der Nutzer und die Nutzerin bekommen von alledem freilich kaum etwas mit, und nur wenige Menschen ahnen, welche Arbeit hinter einer solchen Erfassungsarbeit steckt..

Märchen, neu interpretiert

In letzter Zeit hat die EU-Reform des Urheberrechts um das Thema Uploadfilter zu vielen Debatten geführt, die selbst für Informationsprofis nur noch schwer zu entwirren sind: Während die einen sich vor  globaler Zensur durch Großkonzerne fürchten und für die „Freiheit des Internets“ sogar auf die Straße gehen,  sehen Journalisten, Autorinnen und Verlage die Chance heraufdämmern ihren Content im Netz besser gegen unrechtmäßige Verwertung zu schützen. Dass Regulierung nicht unbedingt immer etwas Schlechtes sein muss zeigt sich auch in anderen Lebens- und Rechtsbereichen, und da man als Bibliothekarin ja bekanntlich immer das Überzeitliche sehen soll, starte ich hier gleich mal eine neue Reihe, die sich den Themen der Zeit annehmen soll. Ich nenne sie „Märchen, neu interpretiert.“, und heute also

Der Datenfänger von Hameln

Es war einmal eine Stadt, nicht weit von hier, da lebte man glücklich und zufrieden. Und ohne Internet. Eines Tages kam ein Mann (wahrscheinlich war er ein Consulter), der schlug den Stadtoberen vor, dass sie doch ein flächendeckendes WLAN in der Stadt einrichten sollten. Er bot sich auch an dabei zu helfen, damit alle Menschen das Internet in einer gesicherten Form nutzen könnten. Aber er wollte dafür auch ein angemessenes Gehalt.

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Die Stadtoberen waren empört. Internet, so ein Unfug, sagten sie. Der will uns doch nur was andrehen! Sie jagten den Mann aus der Stadt. Im Weggehen verfluchte er die Bewohner und ihren Stursinn.

 

In der Stadt lebte man eine Zeitlang weiter friedlich vor sich hin. Bis eines Tages plötzlich die Säulen kamen.
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Die erste Säule stand am Marktplatz. Sie war eines Tages plötzlich da. Die Säulen boten kostenfreies WIFI an, und sie standen bald überall. Man musste sich nur mit seiner Mail-Adresse registrieren, dann konnte man das Internet kostenfrei nutzen.
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Die Leute waren begeistert.
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Sie scharten sich mit ihren Endgeräten um die Säulen wie Motten um das Licht, und nutzten fleißig das Internet. Dass sie dafür persönliche Daten an die Säulenbetreiber übermittelten, war ihnen egal, sie wollten schnelles Internet, möglichst überall.

Das Angebot an Säulen in der Stadt reichte bald nicht mehr aus, um den Bedarf zu befriedigen. Also baute ein großes Säulenunternehmen eine riesige Empfangssäule in ein nahe gelegenes Tal. (okay, Plot hole, aber in dem Tal war gut Platz dafür, okay?).

Auf der Suche nach schnellem Internet wurden die Leute immer maßloser. Sie starrten nur noch auf ihre mobilen Endgeräte, liefen ziellos auf der Suche nach Empfang durch die Stadt, und strauchelten über Steine und Sträucher. Auch waren sie sehr abhängig geworden, von ihren Säulen.

Eines Tages fiel ein Teil des Internets aus. In ihrer Panik stürmten die Leute in Richtung des Tals mit der großen Säule (sie streamten gerade alle eine wichtige Serie auf ihrem Gerät), es entstand eine Art Massenhysterie.

Hameln7Und so stolperten die Leute und fielen übereinander, sie stürzten alle in einer riesigen Schar hilflos in den Fluss im Tal hinunter, und ihre Endgeräte versanken am Grund des Gewässers.

hameln3Nach diesem unglücklichen Zwischenfall wurden die Säulen wieder abgebaut. Die Stadt lebte fortan wieder ohne Internet.
Hätten Sie doch, sagte man später. Hätten sie doch auf den Mann mit dem Internet gehört, dann hätte er sie nicht verflucht.

Und die Moral von der Geschicht? Tja, das ist schwer zu sagen, Datenschutz ist eine komplexe Sache, eine einfach Antwort gibt es nicht 🙂
Kompetente Mediennutzung ist aber immer eine gute Sache. Und das ist das Ende der Geschichte.